Präsident Kirchhoff: „Nur mit einer starken Wirtschaft bleiben wir ein starkes Land“
Die nordrhein-westfälischen Unternehmer haben die Bundesregierung aufgefordert, endlich die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in den Mittelpunkt ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik zu stellen. Ihr müsse bewusst sein, dass Deutschland nur mit einer starken Wirtschaft ein starkes Land bleiben könne. Allerdings verliere das Land in seinen Kernbereichen mehr und mehr an Wettbewerbsfähigkeit. „Unsere industrielle Basis bröckelt, unsere Wertschöpfungsketten sind in Gefahr mit unmittelbaren Folgen für Handel, Dienstleistungen und Handwerk. Ich mache mir große Sorgen“, erklärte der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen (unternehmer nrw), Arndt G. Kirchhoff, am Donnerstag auf dem Unternehmertag seiner Organisation in Düsseldorf. Viel zu lange habe die Politik Investitionen vernachlässigt und stattdessen Konsum bevorzugt. Deutschland lebe seit Jahren von seiner Substanz. „Wir brauchen dringend wieder mehr wirtschaftspolitische Vernunft und einen klareren Blick auf die wirtschaftlichen Realitäten“, sagte Kirchhoff.
Nach Worten des NRW-Unternehmerpräsidenten habe die Bundesregierung im vergangenen Jahr zwar vieles angekündigt, doch tatsächlich nur wenig umgesetzt. Das Wachstumschancengesetz entfalte nicht die Strahlkraft, um einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Kurswechsel herbeizuführen. Bei der Umsetzung des Bürokratieentlastungsgesetzes machten einige Minister den Eindruck, als gelte es nicht für sie. Und in der Energiepolitik fehlten weiterhin verlässliche Perspektiven für die Industrie. Nach wie vor seien die Energiepreise deutlich höher als vor der Energiekrise. „Das ist für viele ein absoluter Investitions-Killer“, so Kirchhoff. Stattdessen setze die Bundesregierung wie etwa beim Cannabisgesetz völlig falsche Prioritäten. „Es ist viel wirtschaftspolitisches Stückwerk und eben keine Politik, der man abnimmt, den Ernst der Lage wirklich erkannt zu haben“, betonte Kirchhoff.
Die Unternehmen warteten „schon sehnsüchtig“ auf einen echten wirtschafts- und finanzpolitischen Impuls. In Anwesenheit von Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte Kirchhoff eine investitionsfreundlichere Steuerpolitik. Deutschland sei nach wie vor weit von einem international wettbewerbsfähigen Steuerniveau entfernt. Ein wichtiges Signal vor allem für den Mittelstand wäre die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Um Anreize insbesondere für Investitionen in die Transformation zu schaffen, könnten etwa Turbo-Abschreibungen und Steuer-Gutschriften geeignete Instrumente sein. Für den enormen öffentlichen Investitionsbedarf etwa zur Sanierung der Verkehrs- und den Ausbau der Energieinfrastruktur brachte Kirchhoff ein streng zweckgebundenes Sondervermögen ins Spiel. „Die generelle Schuldenbremse sollten wir aber nicht in Frage stellen“, sagte er. Zu oft habe die Politik diese Mittel in der Vergangenheit nicht für Investitionen, sondern für andere Dinge verwendet.
Der NRW-Unternehmerpräsident forderte einen Bewusstseinswandel darüber, „was sich das Land leisten kann und was es überfordert“. Deutschland werde um Einschnitte auch im konsumtiven Bereich nicht herumkommen. Kirchhoff warnte davor, jeden Debattenbeitrag hierzu gleich als sozialen Kahlschlag zu bezeichnen und Sozialausgaben grundsätzlich als sankrosankt zu betrachten. „Wer den Sozialstaat erhalten will, muss die Kraft haben, sich den Realitäten zu stellen“, betonte Kirchhoff. Er warb zugleich für ein neues Bewusstsein für den Wert von Arbeit. Wer arbeite, müsse mehr haben als der, der nicht arbeite. Die Beschäftigten in den Betrieben betrachteten dies auch als eine Frage der gesellschaftlichen Fairness und der Leistungsgerechtigkeit. „Ein Sozialstaat, der hier die Maßstäbe verschiebt, wird zwangsläufig ein Akzeptanzproblem bekommen“, sagte Kirchhoff. Es sei eine Illusion zu glauben, dass Wohlstand ohne Anstrengung und Leistung möglich sei. Zudem sei es ein Irrglaube, dass Wohlstand und hohe soziale Standards mit immer weniger Arbeit zu halten seien. „Ich bin überzeugt, dass dies auch immer mehr Menschen in unserem Land erkennen“, so Kirchhoff.
Die Europawahl am 9. Juni bezeichnete Kirchhoff als „eine der wichtigsten Wahlen seit Bestehen der Europäischen Union“. Sie sei ohne Zweifel eine Richtungswahl, die darüber entscheide, ob Europa ein Kontinent des Nationalismus, der Abschottung, der Ausgrenzung und des Protektionismus werde oder die sieben Jahrzehnte lange Erfolgsgeschichte aus Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fortgeschrieben werden könne. Auch das wirtschaftliche Umfeld sei für Europa unübersichtlich und schwierig geworden. Umso wichtiger sei jetzt eine echte wirtschaftspolitische Agenda für Europa, andernfalls drohe der Kontinent im harten internationalen Standortwettbewerb immer mehr ins Hintertreffen zu geraten. Brüssel dürfe nicht mehr für überbordende Bürokratie und Regelungswut stehen. „Europa wird sich Bremsklötze wie diese nicht mehr leisten können, ohne an wirtschaftlicher Stärke zu verlieren“, erklärte Kirchhoff. Sie sei aber die Basis dafür, „um unsere Werte und unsere Freiheit verteidigen zu können“.