„Der vermurkste Mindestlohn“ – oder wie Expertinnen und Experten über die Mindestlohn-Erhöhung sprechen

von oben links: Dr. Arndt Kirchhoff, Antje Höning, Dr. Dirk Jandura, Steffen Kampeter Fotos: unternehmer nrw, Rheinische Post, BGA, BDA

(ud) Die Debatte um den Mindestlohn war hitzig, der Kompromiss ist nun gefunden: In zwei Stufen soll der gesetzliche Mindestlohn bis 2027 auf 14,60 Euro steigen. Ein Signal der Unabhängigkeit – und eine klare Absage an politische Einflussnahme. Wir haben aktuelle Stimmen zur Entscheidung der Mindestlohnkommission und ihren möglichen Folgen für den Arbeitsmarkt zusammengestellt.


Das war alles andere als ein leichter Beschluss. Die Empfehlung der Mindestlohnkommission zur zweistufigen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 13,90 Euro in 2026 und 14,60 Euro in 2027 ist ein extrem harter Kompromiss. Die Erhöhung ist im dritten Jahr der Wirtschaftskrise für den Großhandel eine große Herausforderung und wird viele kleine und mittlere Unternehmen an die Grenze der Belastbarkeit führen. Schon jetzt erreicht die Zahl der Insolvenzen in Deutschland einen Höchststand. Der Beschluss ist kein Sieg für die Tarifautonomie, denn die Kommission greift offensichtlich auf politischen Druck hin vereinzelt in Tarifverträge ein. Angesichts der im Raum stehenden Forderung nach 15 Euro konnte zumindest Schlimmeres verhindert werden. Der Druck auf die Arbeitskosten bleibt aber enorm hoch. Mit der ständigen und völlig überzogenen politischen Einmischung einiger Parteien in die Tarifautonomie muss jetzt endlich Schluss ein. DR. DIRK JANDURA, BGA


Der erste Schritt lässt sich durch die nachlaufende Orientierung am Tariflohnindex gut begründen, der zweite Schritt geht klar über dieses Kriterium hinaus. Natürlich schlägt sich in den 14,60 Euro der Paradigmenwechsel von 2022 nieder, als die Ampel-Regierung den Mindestlohn mit hohem politischem Aufwand per Gesetz auf 12 Euro erhöht hatte. Auch die Weiterentwicklung des Mindestlohns zu einem Living Wage ist kritisch zu sehen, weil sie verteilungspolitisch kaum wirkt und zu einem schleichenden Verlust von einfachen Jobs führen wird. DR. HAGEN LESCH, INSTITUT DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT


Die Mindestlohnkommission hat nach schwierigen Verhandlungen ein ausgewogenes, aber für die Unternehmen herausforderndes Ergebnis erzielt. Die Einigung zeigt die Handlungsfähigkeit innerhalb der Sozialpartnerschaft und ist auch ein Signal gegen die Bevormundung und Einmischung der Politik in die Arbeit der Mindestlohnkommission. Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften funktioniert, auch wenn sie schmerzhafte Kompromisse für beide Seiten erfordert. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. STEFFEN KAMPETER, BDA


„Die von der Mindestlohn-Kommission beschlossenen Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohns auf 13,90 Euro ab dem 1. Januar 2026 in der ersten Stufe und auf 14,60 Euro ab dem 1. Januar 2027 in der zweiten Stufe sind in der Summe sehr schmerzhaft und für viele Branchen eindeutig zu hoch. In der zweiten Stufe liegt die Erhöhung im Vergleich zum aktuellen Wert bei fast 14 Prozent und damit deutlich über dem nachlaufenden Tarifindex. Dieses Ergebnis ist Ausdruck einer völlig inakzeptablen Einmischung der Politik in die Arbeit der unabhängigen Kommission. Die vereinbarten Lohnzuwächse werden in zahlreiche bestehende Tarifverträge eingreifen. Das wird am Ende die Tarifbindung zwangsläufig schwächen. Die Drohungen mit politischen Eingriffen müssen aufhören. Der Mindestlohn kann und darf nicht als sozialpolitisches Instrument missbraucht werden. Erhöhungen oberhalb der allgemeinen Tarifentwicklung sind volkswirtschaftlich gefährlich und betriebswirtschaftlich auf Dauer nicht verkraftbar.“ ARNDT KIRCHHOFF, UNTERNEHMER NRW


Die schlechte Nachricht: Der nun beschlossene Mindestlohn ist zu hoch. Die Anhebung um mehr als acht Prozent zum nächsten Jahr und weiteren fünf Prozent im Jahr 2027 hat mit der Lohnentwicklung am Markt und der konjunkturellen Lage nichts zu tun. Deutschland ist im dritten Jahr der Wirtschaftskrise. Solche Erhöhungen werden sich viele Betriebe nicht leisten können. Die Folge werden Jobabbau und Flucht in Schwarzarbeit ausgerechnet im Bereich der Geringqualifizierten sein. Dabei ist hier die Langzeitarbeitslosigkeit schon jetzt hoch. ANTJE HÖNING, RHEINISCHE POST


Die Mehrheit der Unternehmen in der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie sieht einer möglichen Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde eher gelassen entgegen. So antworteten in der Frühjahrskonjunkturumfrage mehrerer Arbeitgeberverbände 64 Prozent der Betriebe auf die Frage, welche Folgen ein höherer Mindestlohn für sie hätte, mit „neutral“. 35 Prozent rechneten dagegen mit negativen Folgen, ein Prozent gehe sogar von einer Verbesserung der Lage aus. Allerdings gibt es bei der Bewertung des Mindestlohns in den norddeutschen Bundesländern deutliche Unterschiede, wie eine Umfrage der Arbeitgeberverbände Nordmetall, AGV Nord, Oldenburg und Ostfriesland sowie des Allgemeinen Arbeitgeberverbands Bremen ergab. So rechnen etwa 55 Prozent der befragten Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern mit negativen Folgen. In Bremen seien es dagegen nur 13 Prozent, in Hamburg 24, in Schleswig-Holstein 33 und in Niedersachsen 37 Prozent. Die Verbände befragten nach eigenen Angaben Anfang Mai 206 Unternehmen, die insgesamt mehr als 100.000 Mitarbeiter beschäftigen. NDR