„Deutschland steht vor dem Scheideweg“ – Gesamtmetall-Präsident Wolf fordert radikalen Kurswechsel für die Industrie
In einem Interview mit t-online spricht Dr. Stefan Wolf, Präsident des Gesamtmetall-Verbands, heute ausführlich über die Herausforderungen der deutschen Industrie und seine Sorge um die Zukunft des Standorts Deutschland. Wolf sieht akuten Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen, darunter Bürokratieabbau, Sozialversicherungen und die Senkung der Sozialbeiträge. Er kritisiert die aktuelle Regierungskoalition scharf und fordert strukturelle Reformen, die dem Wirtschaftsstandort zugutekommen.
Auf die Frage nach Neuwahlen und möglichem Wandel antwortet Wolf, dass er bei fehlenden Fortschritten Neuwahlen befürworten würde. Er sieht in Friedrich Merz (CDU) einen geeigneten Kandidaten für das Kanzleramt, da Merz aus Wolfs Sicht das Potenzial für wirtschaftlichen Aufschwung erkannt hat. Selbst in einer möglichen Großen Koalition hoffe er, dass die CDU zentrale wirtschaftspolitische Themen durchsetzen könne.
Zusammengefasst von Christoph Sochart
In Bezug auf Vorschläge wie den „Deutschlandfonds“ zur Förderung von Investitionen zeigt sich Wolf skeptisch und sieht anstatt zusätzlicher Finanzierung eine Notwendigkeit für tiefgreifende Strukturreformen. Auch eine Prämie für Langzeitarbeitslose, die wieder in den Arbeitsmarkt eintreten, lehnt er ab, da aus seiner Sicht solche Anreize eine Fehlsteuerung darstellen.
Wolf spricht außerdem die Lohnstruktur an, die sich seiner Meinung nach nicht stark genug von staatlichen Unterstützungsleistungen abhebt. Er fordert eine Reduzierung des Bürgergeldes, um den Anreiz für Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Steigende Löhne, wie von Gewerkschaften gefordert, seien jedoch für die Industrie derzeit nicht tragbar, da die deutsche Wirtschaft im zweiten Rezessionsjahr steckt.
Auch das Rentenpaket II wird von Wolf als ungerecht bezeichnet, da es aus seiner Sicht zukünftige Generationen finanziell stark belasten würde. Wolf befürchtet, dass hochqualifizierte junge Menschen Deutschland den Rücken kehren könnten, wenn hohe Steuern und Abgaben weiter steigen. Der Gesamtmetall-Präsident fordert daher, das Rentenpaket zu stoppen, um langfristige Folgen für den Standort zu vermeiden.
In Bezug auf die Metall- und Elektroindustrie beschreibt Wolf eine ernste Lage. Die Branche habe sich seit 2018 nicht erholt und stehe vor Problemen wie steigenden Material- und Energiekosten. Der Rückgang der Produktion und die Unsicherheiten auf dem E-Auto-Markt – mit hohen Kosten und unzureichender Ladeinfrastruktur – seien ernstzunehmende Probleme, die zu einem langfristigen Jobverlust von bis zu 300.000 Arbeitsplätzen führen könnten.
Die Tarifverhandlungen mit der IG Metall bewertet Wolf pragmatisch. Er sieht die schwierige wirtschaftliche Lage als Grundlage für faire Verhandlungen, hält jedoch auch mögliche Warnstreiks für wahrscheinlich, die aus seiner Sicht den Einigungsprozess nicht erleichtern würden.