Ernst & Young: Mehrheit rechnet für 2024 mit Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland

Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung bei EY

Kein Ende des Krisenmodus in Sicht? Mehr als die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher (54 Prozent) rechnet für 2024 mit einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Von einer Verbesserung gehen nur 15 Prozent aus, 31 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Situation. Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Basis der Studie ist eine repräsentative Umfrage unter mehr als 1.000 Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland. EY sitzt im GAP15 in Düsseldorf.

Ihre eigene finanzielle und wirtschaftliche Lage bewerten die Befragten zwiegespalten. Die gute Nachricht: Die Zufriedenheit mit der eigenen Finanzsituation hat sich in den vergangenen zwölf Monaten nicht weiter verschlechtert – ein Viertel (25 Prozent) der Verbraucherinnen und Verbraucher hierzulande bewertet die eigene finanzielle Situation positiv, 23 Prozent negativ. Die schlechte Nachricht: Die Zufriedenheit ist damit unverändert auf dem niedrigsten Niveau seit der Finanzkrise 2008.

Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung bei EY: „Die Kosten für Lebensmittel, Heizung und zahlreiche Dienstleistung sind 2023 noch einmal deutlich gestiegen. Für viele Menschen in Deutschland wird der Krisenmodus zum neuen Normalzustand. Was allerdings Hoffnung machen kann: Aktuell sinkt die Inflation wieder stärker. Damit stieg die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher im vergangenen Quartal erstmals wieder, die Löhne legten stärker zu als die Verbraucherpreise.“

Die Hälfte der Menschen schränkt sich stark oder sehr stark ein – nur noch die Hälfte blickt optimistisch in die Zukunft

Allerdings: Viele Menschen in Deutschland haben in den vergangenen Jahren deutliche Einbußen beim verfügbaren Einkommen hinnehmen müssen. Insgesamt gibt mehr als ein Drittel (35 Prozent) an, dass sie sich beispielsweise beim Griff ins Supermarktregal sehr stark oder stark einschränken müssen. Bei den Frauen sagen dies 39 Prozent, bei den Männern sind es 30 Prozent. Insgesamt haben sogar neun von zehn Befragten ihr Einkaufsverhalten aufgrund der Inflation verändert. Den Rotstift setzen die Menschen dabei vor allem bei größeren Einzelanschaffungen wie Autos, Küchen und Möbeln an (57 Prozent). Etwas mehr als die Hälfte (51 Prozent) will die Ausgaben bei Unterhaltungselektronik zurückfahren, beim Renovieren zu sparen geben 43 Prozent der Befragten an.

Immerhin: Der Anteil der Befragten, die insgesamt eher optimistisch in die Zukunft blicken, ist im Vergleich zum Vorjahr leicht – von 44 auf 49 Prozent – gestiegen. Damit sind die Pessimisten mit einem Anteil von 51 Prozent allerdings immer noch leicht in der Überzahl. Zum Vergleich: Ende 2019, also vor dem Ausbruch der Pandemie, lag der Anteil der Optimisten noch bei 75 Prozent, also erheblich höher. Ahlers: „Die Vielzahl an schweren Krisen, die sich in den vergangenen Jahren abgelöst bzw. überlappt haben, hat Spuren hinterlassen. Es ist zwar wichtig, realistisch auf den Zustand der Welt zu schauen und damit umzugehen. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir Deutschen nicht zur depressiven Nation werden und Chancen und positive Entwicklungen aus dem Blick verlieren.“

Zwar seien die derzeitigen Herausforderungen, mit denen Deutschland konfrontiert sei, groß, aber – so Ahlers weiter: „Jammern hilft nicht, wir haben es in vielerlei Hinsicht selbst in der Hand, wie gut es uns hierzulande in der kommenden Dekade geht.“ Der Weg sei dabei klar: „Wir müssen entrümpeln, und mehr Innovationen wagen.“ Deutschland sei nicht der kranke Mann Europas, betont Ahlers: „Aktuell sind wir mit Sicherheit kein Wachstumsmotor und Innovationstreiber mehr. Dies kann sich allerdings wieder ändern, wenn wir unsere Hausaufgaben machen und die Baustellen in den Bereichen Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung endlich in den Griff kriegen.“ Es werde zwar auf vielen Ebenen über die Notwendigkeit von Transformation und Innovation gesprochen, „allerdings scheinen wir in Deutschland den Mut zu echter Veränderung nicht aufzubringen, weil wir immer noch dazu neigen, uns auf alten Lorbeeren auszuruhen“, so Ahlers.

Gefühlte Arbeitsplatzsicherheit ist gestiegen

Trotz der aktuellen Krisenstimmung bei vielen Menschen: Um ihren Arbeitsplatz machen sich nach wie vor relativ wenige Bundesbürgerinnen und -bürger akute Sorgen. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) hält ihren Job für sehr sicher, mehr als ein weiteres Drittel (37 Prozent) beurteilt die Jobsicherheit als „eher sicher“. Damit schätzen fast neun von zehn Beschäftigten hierzulande ihren Arbeitsplatz insgesamt als sicher ein. Sorgen machen sich die Menschen hierzulande aber trotzdem: Vor allem über die Auswirkungen der Flüchtlingskrise (59 Prozent, plus vier Prozentpunkte) und Kriege im Ausland (wie im Vorjahr 58 Prozent).

Ahlers: „Angesichts unsicherer Konjunkturprognosen fahren die Unternehmen aktuell auf Sicht – und werden sich bei Neueinstellungen verständlicherweise zurückhalten. Eine aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenig erfreuliche Entwicklung.“ Wie sich technische Entwicklungen – allen voran Künstliche Intelligenz – auf den Arbeitsmarkt auswirken werden, sei ebenfalls nicht absehbar, so Ahlers weiter. „Dass trotzdem die Arbeitsplatzsicherheit des Großteils der Angestellten hierzulande enorm hoch und im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen ist, ist ein positives Signal und kann gar nicht hoch genug bewertet werden – auch weil dies eine wichtige Grundvoraussetzung für sozialen Frieden in unserem Land und die Zustimmung zu unserer demokratischen Verfassung ist. Umso wichtiger ist es, dass wir mit den notwendigen Änderungen und Reformen nicht erst dann beginnen, wenn die Arbeitslosenzahlen in die Höhe gehen, sondern die Transformation unseres Landes jetzt beherzt angehen.“