Kanzlerkandidaten beim „Tag der deutschen Industrie“
Sonntagsreden? Viel heiße Luft? Oder konkrete Aussagen zu den Themen Standortsicherung, Genehmigungsverfahren, Wasserstoff? Die Latte war hoch gehängt beim diesjährigen „Tag der Industrie“. Ein kommentierender Bericht aus unserer Redaktion.
Der diesjährige Tag der Industrie fand als dreitägige Hybridveranstaltung statt. Vor Ort tauschte man sich knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl Wirtschaft und Politik über wirtschaftspolitische Herausforderungen für den Standort Deutschland aus. Gäste waren unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland, Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission sowie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Weitere Redebeiträge vor Ort übernahmen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sowie die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock von Bündnis 90/Die Grünen, Armin Laschet von der CDU und Christian Lindner von der FDP.
Ein besonderes Augenmerk lag natürlich auf unseren Kanzlerkandidaten. Doch hier fiel das Ergebnis, vor allem bezogen auf klare Aussagen, eher „mau“ aus. Konkrete Aussagen, beispielsweise zum Thema Wasserstoff, gab es nicht. Stattdessen gab es viele Versprechen und Worthülsen. Beispiel Annalena Baerbock: „Wir müssen die Kräfte bündeln zwischen Industrie und Politik. Nur miteinander, nicht gegeneinander könne der Wandel gelingen.“ Nun ja, wer wolle dem widersprechen? Und Olaf Scholz präsentierte sich als „Ich-AG“: „„Diese Transformation werde ich als Bundeskanzler nicht moderieren, sondern mit höchster Priorität vorantreiben. Das wird Chefsache und direkt aus dem Bundeskanzleramt gesteuert.“ Scholz möchte auch Planungen und Genehmigungen beschleunigen und dabei auch die Themen Baurecht, Immissionsschutzrecht und Raumordnungsrecht anpacken. „Dabei werden wir auch den andauernden Konflikt zwischen Energiewende und Artenschutz lösen“, sagte Scholz schemenhaft. In das gleiche Horn blies auch Armin Laschet. Er bekräftigte seine Botschaft des „Modernisierungsjahrzehnts“. Deutschland müsse schneller werden bei Digitalisierung und Infrastruktur. Die Unternehmen bräuchten mehr Freiräume. Und er warnte davor, die Steuern zu erhöhen.
Der BDI rechnet für das gesamte Jahr 2021 mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes um 3,5 Prozent. Im April erwartete der Verband noch drei Prozent Wachstum. „Unseren Optimismus ziehen wir aus einer erwarteten Belebung der Binnenkonjunktur aufgrund von Nachholeffekten im privaten Konsum und aufgrund deutlich steigender Investitionen sowie aus dem Auslandsgeschäft, wo wir eine starke Erholung in Asien erwarten und von den Konjunkturpaketen in den USA profitieren dürften“, erklärte BDI-Präsident Russwurm. Insgesamt rechnet der BDI in diesem Jahr mit einem Anstieg der Industrieproduktion um acht Prozent. Mit der Rückkehr auf Vorkrisenniveau des BIP rechnet der BDI im vierten Quartal dieses Jahres. „Ein entscheidender Faktor ist nach wie vor die Pandemie, deren Verlauf das größte Abwärts-Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ist und bleibt“, betonte Russwurm.
Als eine weitere Gefahr für die konjunkturelle Erholung nannte der BDI-Präsident zunehmende Lieferengpässe und Rohstoffknappheiten: „Chipmangel führt in der Automobilindustrie bereits zu teils weitreichenden Produktionseinschränkungen.“ Die Probleme beträfen die gesamte Lieferkette. „Lieferengpässe gibt es aber nicht nur bei Halbleiterchips“, erklärte Russwurm. Es mangele auch an Kunststoffen, Verpackungsmaterial, Stahl und Metallen. „Wie stark dieses Thema die Konjunkturkennzahlen letztlich negativ beeinflussen wird, das wird sich noch zeigen“ sagte Russwurm. „Ich bin aber zuversichtlich, dass es der deutschen Industrie zumindest nicht langfristig Probleme bereiten wird.“