Wenn Manager/innen Minister werden – warum der Wechsel in die Politik oft kompliziert wird

Seit August 2021 ist Karsten Wildberger Vorstandsvorsitzender und Arbeitsdirektor der CECONOMY AG sowie Vorsitzender der Geschäftsführung der Media-Saturn-Holding GmbH. Foto: CECONOMY AG
(cs) Der Ruf nach „frischem Wind aus der Wirtschaft“ ertönt regelmäßig, wenn Politik als zu träge, zu bürokratisch oder zu ideologisch empfunden wird. Also holt man erfahrene Manager ins Kabinett – in der Hoffnung, dass sie mit unternehmerischem Denken und klarer Sprache für Ordnung sorgen. Auch Herr Merz versucht diesen Weg mit Katherina Reiche als Bundesministerin für Wirtschaft und Energie und Dr. Karsten Wildberger als Bundesminister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung.

Rolf Tups ist geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensberatung in Düsseldorf. Foto: CDU Düsseldorf
Grundsätzlich ist das eine gute Idee und lokal und regional funktioniert das auch, wenn man in Düsseldorf Josef Hinkel, Rolf Tups, Dr. Alexander Fils, Peter Rasp und Burkhard Albes oder Johann-Andreas Werhahn in Neuss als Beispiele heranzieht. Doch allzu oft endet dieses Experiment auf Bundesebene mit Ernüchterung. Denn Politik folgt eigenen, sehr speziellen Gesetzen – und daran sind schon viele Wirtschaftsgrößen gescheitert.
Ein besonders prominenter Fall war Werner Müller, der 2019 im Alter von 73 Jahren verstarb. Der gebürtige Essener war ein Mann der Wirtschaft, bevor er 1998 zum parteilosen Bundeswirtschaftsminister im Kabinett Schröder wurde. Müller kam mit dem Selbstbewusstsein des Ruhrgebiets-Managers, aber auch mit dem Anspruch, durch klare Entscheidungen Veränderung zu bewirken. In der politischen Realität musste er feststellen, dass Veränderung nicht durch Beschlüsse allein gelingt, sondern durch mühsames Aushandeln – mit Fraktionen, Ländern, Interessensgruppen und der eigenen Verwaltung. Nach vier Jahren war für ihn Schluss, sein Nachfolger wurde Wolfgang Clement. Müller ging zurück in die Wirtschaft und überführte als Ruhrkohle-Boss die Industriegeschäfte in den neuen Börsenkonzern Evonik. Dort, in der Wirtschaft, war die Welt wieder planbarer – und schneller.
Denn genau daran hapert es in der Politik: an der Geschwindigkeit und Machbarkeit. Während in Unternehmen der Vorstand entscheidet, bedarf es in der Politik häufig langer Debatten, Koalitionsrunden, Anhörungen und Vermittlung. Geduld, Diskussionsfreude und Beharrlichkeit sind hier Tugenden – in der Wirtschaft eher Bremsklötze.
Auch andere Namen stehen für das Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik. Thomas Middelhoff, einst Bertelsmann- und Arcandor-Chef, war immer wieder im politischen Gespräch, aber letztlich ungeeignet für die Geduld und Sensibilität, die Politik verlangt. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Mehr als 100 Tage sind nun Katherina Reiche als Bundesministerin für Wirtschaft und Energie und Dr. Karsten Wildberger im Amt. Als erster Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) präsentierte Wildberger bereits im Mai ein umfassendes Reformprogramm: mit dem „Deutschland‑Stack“, digitaler Identität (Wallet), IT‑Infrastruktur, KI‑Förderung und Bürokratieabbau. Er bringt eine klare Start‑up‑Mentalität in die Politik: Auf der re:publica erhielt er überraschenden Applaus, selbst von Digitalkritikern wie Markus Beckedahl, weil er bereits viele zentrale Forderungen aufgriff – etwa Open‑Source und digitale Souveränität, schreibt die ZEIT. Wildberger warnt jedoch auch entschlossen vor überzogenen Erwartungen: Digitalisierung sei kein Lichtschalter, sondern ein Prozess, der Zeit, Geduld und Partner benötigt.

Nachdem Katharina Reiche 2015 den Bundestag verließ, arbeitete Reiche erfolgreich in der Energiebranche – zuletzt als Vorstandsvorsitzende bei Westenergie – und sammelte dort viel Management- und Branchenexpertise. Foto: Bundesregierung
Katharina Reiche gilt als zielstrebig, verantwortungsbewusst und sehr gut vernetzt – sowohl politisch als auch in der Wirtschaft. Sie bringt Kompetenz, Pragmatismus und ein unternehmerisches Mindset mit. Doch die Erwartungen sind enorm: Jetzt zählt die Frage, wie schnell und überzeugend sie die Herausforderungen – von Klimazielen bis Wirtschaftserholung – in belastbare Ergebnisse übersetzen kann. Erste konkrete Erfolge oder Leitlinien sind jedoch noch nicht breit kommuniziert worden.
Wirtschaft und Politik mögen auf den ersten Blick ähnliche Herausforderungen haben – etwa das Steuern großer Organisationen. Doch sie unterscheiden sich grundlegend in der Art, wie sie Entscheidungen treffen und umsetzen. Wer von der Wirtschaft in die Politik wechselt, braucht mehr als Fachverstand: Er braucht Demut vor dem Prozess, Fingerspitzengefühl und viel Geduld. Werner Müller hat diesen Spagat mit Anstand versucht – und mit der Einsicht, dass Politik kein Unternehmen ist, sondern ein komplexes Gebilde aus Interessen, Emotionen und Aushandlungen. Allerdings muss man auch betonen, dass Reiche und Wildberger erfahrene Staatssekretäre zur Seite gestellt werden, die teilweise sehr viel politische Erfahrung mitbringen. Und bei Frau Reiche kommt hinzu, dass sie keine „ur-reine Unternehmerin“ war, sondern vor ihrem Ausflug in die Wirtschaft bereits in der Politik tätig war. Wir dürfen also gespannt bleiben …