Ökonomen zufolge mehren sich die Anzeichen für ein schwaches zweites Halbjahr 2023; Edelfeder Martin Kessler: Unser Land hat sich zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht

Prof. Dr. Michael Grömling

Unsere Wirtschaft nimmt erneut Kurs auf eine Rezession, schreibt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling in einem Gastbeitrag für die VDI-Nachrichten. Eine ähnliche Situation beschrieb bereits der „Düsseldorfer Konjunkturmonitor“ der Unternehmerschaft im Januar diesen Jahres.

Der Pessimismus ist zurück. In der IW-Konjunkturampel haben in den letzten drei Monaten die roten Felder wieder zugenommen. Die entsprechenden Konjunkturindikatoren haben sich somit deutlich gegenüber den vorhergehenden drei Monaten verschlechtert. Auch die IW-Konjunkturumfrage vom Sommer 2023 zeigt, dass die Unternehmen hierzulande erneut auf Rezessionskurs sind.

Nach der Aufhellung im Frühjahr hat sich die Bewertung der aktuellen Wirtschaftssituation wieder eingetrübt. Im Juni 2023 haben 36 % der vom IW befragten Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage schlechter beurteilt als vor einem Jahr. Nur 29 % bezeichnen sie besser als im Frühjahr 2022. Dies verdeutlicht die Verschlechterung der Konjunkturentwicklung in jüngster Zeit. Besonders in der Industrie und im Baugewerbe wird die Lage schlecht eingeschätzt. Die Industrie leidet zunehmend unter den eintrübenden Perspektiven der Weltwirtschaft. Beim Bau dämpfen hohe Materialkosten, steigende Zinsen und die schlechte Stimmung die Nachfrage.

Auch die Geschäftsaussichten für das gesamte Jahr 2023 haben sich wieder verschlechtert. Die Zuversicht vom Frühjahr ist weg. Der Anteil der Betriebe, die für das Gesamtjahr von einer höheren Produktion als im Vorjahr ausgehen, beläuft sich auf 27 %. Das ist deutlich weniger als im Frühjahr (36 %). Dagegen hat sich der Anteil der Pessimisten in den letzten drei Monaten von 26 % auf 34 % merklich erhöht. Damit befindet sich Deutschland erneut in der Rezession und die Wirtschaftsleistung wird in diesem Jahr nur knapp über dem Niveau von 2019 liegen. Die Produktions- und Geschäftserwartungen haben sich in der Industrie und in der Dienstleistungswirtschaft merklich verschlechtert. In der Bauwirtschaft sind sie konstant schlecht geblieben. Gut 40 % der Industriefirmen erwarten in diesem Jahr einen Produktionsrückgang, nur gut 30 % einen Zuwachs. Damit bleibt die Industrie weiterhin deutlich unter ihrem Produktionsniveau von 2019. Bei den Baufirmen gehen 37 % von einem Produktionsrückgang aus und nur 21 % sehen einer besseren Geschäftstätigkeit entgegen. Die Perspektiven für den Dienstleistungssektor fallen insgesamt zwar positiv aus – sie hatten sich zuletzt aber auch erheblich verdüstert: Während in der IW-Frühjahrsumfrage 2023 gut 40 % der befragten Servicebetriebe von einem besseren Geschäft in diesem Jahr ausgingen, sind es aktuell nur gut 30 %. Der Anteil der Pessimisten ist von 19 % auf 23 % gestiegen.

„Die Industrie bleibt weiterhin deutlich unter ihrem Produktionsniveau von 2019.“

Das Investitionsklima hat sich abermals verschlechtert – eine Folge der allgemeinen konjunkturellen Eintrübung. Für das Jahr 2023 erwarten 32 % der befragten Firmen höhere und 30 % geringere Investitionsausgaben als im Vorjahr. Die Investitionen dürften damit auf der Stelle treten und die mit der Coronapandemie entstandene Investitionslücke wird auch in diesem Jahr nicht geschlossen. Bei den Investitionsplänen für 2023 weisen die Dienstleistungsunternehmen ein merklich positives Bild auf. Für die Industrie liegt mehr oder weniger ein ausgeglichener Befund vor – 31 % werden mehr und 33 % weniger investieren. In der Bauwirtschaft dominieren dagegen die pessimistisch gestimmten Betriebe die Investitionstätigkeit.

„Die hohe Inflation macht auch den Unternehmen zu schaffen. Zudem leidet die Industrie unter der weltweiten Konjunkturschwäche, die die Nachfrage dämpft. Statt der erhofften Frühjahrsbelebung stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preis-, saison- und kalenderbereinigt im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal, wie die Behörde ebenfalls in einer ersten Schätzung mitteilte.“, schreibt die RP am heutigen Samstag und sie ergänzt: „Ökonomen zufolge mehren sich die Anzeichen für ein schwaches zweites Halbjahr 2023. „Nach der Stagnation der deutschen Wirtschaft im zweiten Quartal ist leider keine Besserung in Sicht“, erwartet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.“

RP-Edelfeder Martin Kessler kommentiert die Situation heute in der RP wie folgt: „Das trübe Bild passt zu dem, was Expertinnen und Experten über unsere wirtschaftliche Situation sagen. Die falsche Auswahl der Handelspartner, die große Gas-Abhängigkeit, die Probleme der Lieferketten – sie sind jetzt Sand im Getriebe der Wirtschaft. Deutschlands Stärke – die Erfolge auf den internationalen Märkten und die starke Stellung der Industrie – ist zur Achillesferse geworden. Die Amerikaner brillieren mit ihrer Technologie-Überlegenheit, die Franzosen mit Dienstleistungen und Luxusgütern, die Italiener mit Mode, Möbeln und Pharmaprodukten. Nur die Deutschen finden nach den Turbulenzen der jüngsten Zeit nicht auf den Wachstumspfad zurück. (…) Unser Land hat sich zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht. Und statt die neuen Herausforderungen wie Klimakrise und künstliche Intelligenz beherzt anzunehmen, verhaken sich die Akteure lieber in fruchtlose Rechthaberdebatten und Schuldzuweisungen. “