Worum geht es eigentlich bei dem „Tariftreuegesetz“, dass heute auf den Weg gebracht werden soll? Wir haben nachgefragt!

Dr. Rainer Dulger. Foto: BDA | Michael Hübner

(cs) Die Bundesregierung will ein zentrales Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen: ein Tariftreuegesetz für Bundesaufträge. Heute soll das Kabinett den Gesetzentwurf auf den Weg bringen. Der Entwurf sieht vor, dass Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen des Bundes ab 50.000 Euro ihren Beschäftigten Löhne, Weihnachtsgeld, Urlaub und Ruhezeiten wie in den branchenüblichen Tarifverträgen gewähren müssen – auch dann, wenn sie selbst nicht tarifgebunden sind.

Ziel des Gesetzes ist es, die Tarifbindung in Deutschland zu erhöhen. Unterstützt wird das Vorhaben von der IG Metall, die eine Umsetzung ohne Ausnahmen und Schlupflöcher fordert. Die Arbeitgeberseite hingegen läuft Sturm gegen das geplante Gesetz – der Vorwurf: Es sei ein „Tarifzwangsgesetz“, das die Tarifautonomie untergräbt und Unternehmen mit bürokratischen Lasten überzieht.


Dulger: „Das Gesetz ist staatlicher Zwang, keine Treue“

Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), kritisierte den Gesetzentwurf scharf. „Mit echter Tariftreue hat das nichts zu tun – denn Treue setzt Freiwilligkeit voraus, nicht staatlichen Zwang“, sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur. Er sprach von einem „Tarifzwangsgesetz“, das so nicht kommen dürfe.

Dulger warnte zudem vor einem enormen bürokratischen Aufwand und sah darin einen Widerspruch zur von der Regierung proklamierten Entlastung der Wirtschaft: „Der Entwurf aus dem Arbeitsministerium ist das Gegenteil von Bürokratieabbau. Die Vergabe im öffentlichen Raum wird so noch komplizierter.“ Er forderte stattdessen Vertrauen in die Wirtschaft und die Kräfte des Marktes. Unternehmen würden bereits eigenverantwortlich handeln und bräuchten keine gesetzliche Gängelung, so Dulger.


Industrie- und Handelskammer: Bürokratie wird steigen

In eine ähnliche Richtung argumentiert die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). Sie verweist auf den hohen administrativen Aufwand, der mit der Umsetzung eines Tariftreuegesetzes einhergehen würde. „Das Gesetz bedeutet zusätzlichen Aufwand für die Betriebe, ohne dass es tatsächlich zu mehr Tarifbindung führt“, heißt es aus DIHK-Kreisen. Besonders kleine und mittlere Unternehmen könnten dadurch von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen abgeschreckt werden.


Johannes Pöttering (r.) mit unserem Hauptgeschäftsführer Michael Grütering. Foto: W. Meyer

Unternehmer NRW: „Tarifbindung wird geschwächt, nicht gestärkt“

Auch die Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen (unternehmer nrw) lehnt den Gesetzentwurf entschieden ab. Hauptgeschäftsführer Johannes Pöttering bezeichnete das Gesetz als „völlig kontraproduktiv und rückwärtsgewandt“. In einer Stellungnahme aus Düsseldorf sagte er: „Offensichtlich befinden sich Teile der Bundesregierung in einem anhaltenden tarifpolitischen Blindflug.“

Pöttering warnte, dass gesetzlicher Zwang zur Anwendung von Tarifverträgen die freiwillige Tarifbindung schwäche, anstatt sie zu fördern. Er erklärte: „Wenn Tarifverträge staatlich verordnet werden, fehlt ein zentraler Anreiz, als Betrieb einem Arbeitgeberverband beizutreten oder als Beschäftigter Mitglied einer Gewerkschaft zu werden.“ Als Beleg verwies er auf Erfahrungen mit dem NRW-Tariftreuegesetz in den Jahren 2010 bis 2017. „Uns ist kein einziger Betrieb bekannt, der aufgrund des Gesetzes in einen Arbeitgeberverband eingetreten ist.“

Statt gesetzlicher Regelungen fordert Pöttering einen stärkeren Fokus auf attraktive Tarifverträge und mehr Handlungsspielräume für die Tarifparteien: „Der Staat sollte auf eigene Regulierung verzichten und durch tarifliche Öffnungsklauseln in Gesetzen Räume schaffen, die passgenau von den Sozialpartnern ausgestaltet werden können.“


Bürokratie contra Gerechtigkeit – ein altbekannter Streit

Die Auseinandersetzung um das Tariftreuegesetz steht exemplarisch für den alten Konflikt zwischen sozialen Mindeststandards und wirtschaftlicher Freiheit. Während Arbeitgeber und Unternehmensverbände vor einem „Regulierungswahn“ warnen, pochen Gewerkschaften auf die Schutzfunktion des Staates gegenüber prekärer Beschäftigung. Letztlich geht es um die Frage, wie Tarifbindung in Deutschland wieder gestärkt werden kann – freiwillig oder gesetzlich erzwungen.

Der Ausgang ist offen. Klar ist jedoch: Sollte das Gesetz wie geplant kommen, wird es weitreichende Auswirkungen auf die Vergabepraxis des Bundes und die Arbeitsbedingungen vieler Beschäftigter haben. Die Fronten sind verhärtet – die politische Debatte hat gerade erst begonnen.


Erklärt: Was ist das Tariftreuegesetz?

Ein Tariftreuegesetz verpflichtet Unternehmen, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmten tariflichen Standards zu folgen – auch wenn sie selbst nicht tarifgebunden sind. Ziel ist es, faire Löhne und Arbeitsbedingungensicherzustellen und zu verhindern, dass sich Firmen durch Lohndumping Vorteile bei Ausschreibungen verschaffen.

Das geplante Bundesgesetz soll für alle Bundesaufträge ab 50.000 Euro gelten. Unternehmen müssen dann Entgelt, Weihnachtsgeld, Urlaubsanspruch und Ruhezeiten nach branchenüblichen Tarifverträgen gewähren. Länder wie Nordrhein-Westfalen haben ähnliche Gesetze bereits getestet – mit gemischten Ergebnissen.

Befürworter sehen darin einen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit und fairem Wettbewerb. Kritiker sprechen von „Tarifzwang“ und einem Bürokratiemonster, das vor allem kleine Firmen belastet. Die politische und juristische Debatte über Sinn und Wirkung solcher Gesetze ist seit Jahren umstritten – das neue Bundesgesetz könnte zum Präzedenzfall werden.