Mein Wochenende in Lützerath: wichtige Elemente einer erfolgreichen Verhandlung

Verhandlungsexperte Matthias Schranner
Wir reden nie über unsere Verhandlungen, wir bleiben im Hintergrund und die Öffentlichkeit erfährt meist nichts von unserer Unterstützung. Meine Verhandlung in Lützerath mit den beiden Aktivisten im Tunnel ist jedoch bekannt geworden, und mit dem OK meines Kunden durfte ich auch ein Spiegel Interview geben.
Gleich vorneweg: Die Verhandlung habe ich nicht alleine geführt, es war eine professionelle Zusammenarbeit mit einem richtig guten Team.
Eine Verhandlungsgruppe der Polizei hatte die letzten Tage mit den beiden Aktivisten verhandelt. Das Verhandlungsmandat der Polizei ging allerdings nur bis Sonntagabend, da mit dem Ende der Räumung auch die polizeilichen Aufgaben erledigt waren. Rechtlich gesehen war es dann keine Räumung mehr, sondern eine Rettung. Die Verantwortung für die beiden Aktivisten im Tunnel ging somit an die RWE über. Am Sonntag hat mich der Krisenstab von RWE gebeten, die Verhandlung zu übernehmen.
Nach meinem Eintreffen in Lützerath bekam ich ein detailliertes Briefing von der polizeilichen Verhandlungsgruppe. Als ehemaliger Polizeibeamter und Mitglied der Verhandlungsgruppe wurde ich sofort akzeptiert und es gab keinerlei Konkurrenzdenken.
Zusammen mit der Polizei hatten wir eine saubere Übergangsphase definiert. Bis 19 h verhandelte die Polizei, ab 19 h ging die Verantwortung der Verhandlung auf mich über.
In unserem Sprachgebrauch übernahm ich die Rolle des „Commanders“, der Leiter des Krisenstabes war der „Decision Maker“ und – ein wirklich großes Glück – der „Negotiator“ war bereits bestens besetzt. Christian, ein technischer Experte für den Grubenbau, hatte die letzten Tage zusammen mit seinem Kollegen Kontakt zu den beiden Aktivisten. Es wurden technische Punkte wie die Versorgung mit Sauerstoff und die Sicherheit im Tunnel besprochen. Durch seine Expertise und sachliche Herangehensweise entwickelte sich über die Tage eine sehr vertrauensvolle Beziehung.
Christian blieb unser „Negotiator“, denn ein Tausch hätte Irritationen hervorgerufen und wir hätten diesen großen Vorteil aufgegeben.
Als „Commander“ hatte ich zwei wichtige Aufgaben: Die Unterstützung und Coaching des „Negotiators“ und die interne Verhandlungen mit der Polizei und RWE. Nachdem wir am Sonntag gegen 20 h von den Aktivisten eine Forderungsliste mit 6 klaren Forderungen bekommen hatten, war es mein Job, die Forderungen intern zu verhandeln und mögliche Zugeständnisse zu erreichen.
Ich möchte keine Details nennen, wir konnten jedoch innerhalb von 30 Minuten die Forderungen intern klären und den beiden Aktivisten Zugeständnisse anbieten. Die Zugeständnisse waren an eine klare Zeitschiene gebunden, nach Ablauf dieser Frist hätten die Zugeständnisse nicht mehr gegolten. Zudem hatte die RWE entschieden, ab Montag einen Tunnel zu graben, um bei einer Verschlechterung der Bedingungen die Aktivisten retten zu können. Diese Bauarbeiten hätten aber ein zusätzliches Risiko für den bestehenden Tunnel bedeuten können.
Wir hatten eine klare Strategie für die Verhandlung vereinbart: Es gibt keine Versuche, die Aktivisten zu überzeugen. Aufforderung wie „jetzt kommt doch endlich raus“ waren nicht erlaubt. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen war immer den Aktivisten überlassen, natürlich innerhalb der vereinbarten Korridore, wie die zeitlichen Fristen.
Um 21 h hatten wir die Vereinbarung mit den Aktivisten getroffen, dass der Tunnel bis Montag 12 h verlassen wird.
Die Aktivisten, die Polizei und RWE hatten sich an alle Absprachen gehalten und so konnten die beiden Aktivisten den Tunnel verlassen.
Es war auch für mich eine neue Situation, da normalerweise Leute in Gefahr um Hilfe bitten. Die beiden Aktivisten waren in Gefahr und wollten keine Hilfe. Sie haben in einem Video als „Pinky und Brain“ die Maßnahme als Verteidigung dargestellt und damit gedroht, sich bei einer Räumung anzuketten.
Wichtige Elemente einer erfolgreichen Verhandlung:
- Es braucht eine klare Aufteilung der Verantwortungen, die Rollen „Negotiator“, „Commander“ und „Decision Maker“ müssen klar getrennt sein.
- Ein Zeitplan ist elementar und darf nicht geändert werden, Fristen müssen klar kommuniziert werden.
- Konsequenzen müssen angesprochen werden, jedoch nicht als Drohung.
- Es geht um Menschen, nicht um Ideologien. Die Rettung steht im Vordergrund und nicht, ob jemand Recht oder Unrecht hat.
- Ein Verhandlungsprozess ist Teamwork. Im Sinne der Sache darf es kein Konkurrenzdenken geben, Informationen müssen auf den Tisch. Es muss intern gestritten werden, es muss Raum für Ideen und Bedenken geben. Nach dem Streit steht die Strategie, die dann Schritt für Schritt umgesetzt wird.
Das Teamwork war in Lützerath perfekt. Vielen Dank an die Polizei, RWE, Experten, Feuerwehr, die parlamentarischen Beobachterinnen, die Aktivisten und alle, die mitgeholfen haben.