Nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen will bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter arbeiten – und was Herr Höttges dazu sagt
Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die im April unter mehr als 5000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten durchgeführt wurde, sind rund 65 Prozent der Befragten in Deutschland theoretisch bereit, bis zum gesetzlichen Rentenalter zu arbeiten. Darüber hat die RHEINISCHE POST zuerst berichtet. VON CHRISTOPH SOCHART
Allerdings äußern nur 57 Prozent tatsächlich den Wunsch, dies auch zu tun. Auffällig ist, dass die Unterschiede zwischen den Altersgruppen geringer ausfallen als erwartet. So geben etwa 66,4 Prozent der unter 35-Jährigen an, sich in der Lage zu fühlen, bis zur Rente zu arbeiten. Bei den über 50-Jährigen sind es immerhin noch 62,6 Prozent. Die tatsächliche Bereitschaft, bis zum Rentenalter zu arbeiten, liegt jedoch bei den jüngeren Beschäftigten bei lediglich 59,7 Prozent, während bei den Älteren 54,5 Prozent diesen Wunsch teilen.
Angesichts der demografischen Entwicklung wird die gesetzliche Rentenversicherung in den kommenden Jahren stärker belastet werden, was voraussichtlich zu höheren Beiträgen führt. Experten sind sich einig, dass eine Rentenreform in der nächsten Legislaturperiode notwendig ist, um die Rentenfinanzen langfristig zu stabilisieren und die Beiträge im Rahmen zu halten. Auch wenn das gesetzliche Rentenalter bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird, lag das tatsächliche durchschnittliche Renteneintrittsalter im Jahr 2022 noch bei 64,4 Jahren. Viele Beschäftigte, die 45 Versicherungsjahre erreicht haben, nutzen die Möglichkeit der Rente mit 63 (bzw. 64) oder nehmen Abschläge für einen vorzeitigen Renteneintritt in Kauf.
Ein weiterer Trend ist die stetig wachsende Rentenbezugsdauer, da das Renteneintrittsalter langsamer steigt als die Lebenserwartung. Männer bezogen im Jahr 2022 durchschnittlich 18,8 Jahre lang Rente, Frauen sogar 22,2 Jahre. Seit den letzten 25 Jahren hat sich die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei Männern um 5,3 Jahre und bei Frauen um 3,7 Jahre verlängert.
Nach Auffassung von Tim Höttges, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, sollten sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer in Deutschland ihre Arbeitszeit erhöhen. Er betonte, dass in vielen anderen Ländern deutlich mehr gearbeitet werde als hierzulande. Die Arbeitszeiten in Deutschland seien in den vergangenen Jahren zurückgegangen, was aus seiner Sicht einer Umkehr bedarf: „Wir müssen alle wieder mehr arbeiten“, forderte Höttges. Zwar sei die insgesamt geleistete Arbeitszeit gestiegen, dies sei jedoch überwiegend auf die Zunahme von Teilzeitarbeit zurückzuführen.
Besonders im internationalen Vergleich bereitet ihm die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands Sorgen. Wenn er etwa in China, den USA oder anderen asiatischen Ländern sehe, wie entschlossen diese Wirtschaftsnationen agieren, mache ihm das Sorgen um die Zukunft des Standorts Deutschland. Trotz der technologischen Stärke Deutschlands, die Höttges lobend hervorhob, müsse das Land aufpassen, den Anschluss im globalen Wettbewerb nicht zu verlieren.
Zudem sei die Höhe der ausländischen Investitionen in Deutschland derzeit gering, und der Fachkräftemangel, insbesondere in spezialisierten Berufen, stelle eine erhebliche Herausforderung dar. Er wies auch auf die steigenden Energiekosten und Transportausgaben hin, die den Wirtschaftsstandort zusätzlich belasten. Hinzu kämen übermäßige Bürokratie und langsame Fortschritte in der Digitalisierung. Laut Höttges könne langfristig kein Wohlstand gesichert werden, wenn die Produktivität in den Bereichen Arbeit, Kapital und Rohstoffe nicht gesteigert werde.
Interessanterweise zeigen Gutverdiener eine größere Bereitschaft, bis zum Rentenalter zu arbeiten, während bei Geringverdienern der Wunsch, länger zu arbeiten, etwas stärker ausgeprägt ist, vermutlich aus finanziellen Gründen. Unabhängig von der Einkommensgruppe ist die Absicherung des Lebensstandards im Alter der entscheidende Faktor bei der Entscheidung über den Renteneintritt. Gleichzeitig herrscht weitgehend die Überzeugung, dass man sich den Ruhestand aufgrund seiner Lebensleistung verdient habe. Dieses Denken könne jedoch problematisch werden, wenn daraus der Anspruch entsteht, das Renteneintrittsalter konstant zu halten, obwohl die Lebenserwartung steigt und die Rentenbezugsdauer dadurch länger wird, so das IW.
Neben finanziellen Aspekten spiele auch die Freude an der Arbeit eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, länger im Berufsleben zu bleiben. Beschäftigte, die sich engagiert und energiegeladen fühlen, streben laut der Umfrage häufiger eine Erwerbstätigkeit bis zum gesetzlichen Rentenalter an als weniger engagierte Kolleginnen und Kollegen.
Die Studie zeigt auch, dass die Politik sich bisher zu stark auf finanzielle Anreize konzentriert, um das Rentenalter zu erhöhen. Stattdessen seien Faktoren wie der Gesundheitszustand, das Wohlbefinden, das Engagement und die Bereitschaft zur Weiterbildung entscheidende Treiber für die Bereitschaft, länger zu arbeiten. Durch eine Stärkung des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie präventive Maßnahmen, auch im Bereich der psychischen Gesundheit, könnte dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben entgegengewirkt werden.
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