Wasserstoff-Wunder mit angezogener Handbremse: Warum Bürokratie die Energiewende ausbremst
Ein kommentierender Bericht.
(cs) Eine Pressemitteilung aus dem Norden hat mich stutzig gemacht. Genauer gesagt, ein Satz von EWE-Chef Stefan Dohler, der weit mehr Sprengkraft hat als die nüchtern-technischen Angaben rund um einen der künftig größten Elektrolyseure Deutschlands. EWE ist ein Energieunternehmen aus Oldenburg.

EWE-CEO Stefan Dohler. Foto: Vollmert
Eigentlich ging es in der Meldung um Fortschritt: Die EWE hat das rheinische Unternehmen NEUMAN & ESSER mit der Lieferung der Verdichter-Technik für eine 320-Megawatt-Wasserstofferzeugungsanlage in Emden beauftragt – ein Leuchtturmprojekt im Rahmen der Initiative Clean Hydrogen Coastline. Ab 2027 soll dort grüner Wasserstoff im industriellen Maßstab produziert werden. EWE möchte damit „die Energieversorgung von morgen gestalten und gleichzeitig die regionale Wirtschaft stärken“. NEUMAN & ESSER arbeitet im übrigen auch eng mit unserem Mitglied und Partner SIEMENS zusammen.
Doch dann folgte dieser Satz von Dohler, der bei allem Fortschrittsoptimismus tief blicken lässt:
„Wir könnten Wasserstoff deutlich günstiger produzieren, wenn wir flexibel auf günstige Grünstrom-Angebote am Spotmarkt reagieren dürften. Stattdessen zwingen uns aktuelle EU-Vorgaben zur zeitlichen und geografischen Korrelation mit einem spezifischen Windpark – das verteuert die Produktion erheblich.“
Das klingt nicht nach Aufbruch, sondern nach Bremsmanöver. Und tatsächlich: Die Vorgaben der EU verlangen, dass Elektrolyseure nur dann als „grün“ gelten, wenn sie zeitgleich und ortsgebunden Strom aus einem neuen Wind- oder Solarpark beziehen. In der Praxis bedeutet das: Wenn der Windpark gerade nicht liefert, darf auch kein Wasserstoff produziert werden – selbst wenn woanders grüner Strom im Überfluss vorhanden wäre, so Stefan Dohler.

Air Liquide betreibt in Düsseldorf seit dem 7. September 2012 die erste öffentliche Wasserstofftankstelle für Pkw in Nordrhein-Westfalen. Diese Station befindet sich an der Automeile Höherweg und markierte einen wichtigen Meilenstein für die Wasserstoffmobilität in der Region. Am 18. Juni 2019 eröffnete Air Liquide eine zweite Wasserstofftankstelle in Holthausen, gelegen an der Oerschbachstraße auf dem Gelände der Firma Henkel. Foto: Air Liquide
Das ist nicht nur ineffizient, sondern – wie Dohler zu Recht betont – volkswirtschaftlich fragwürdig. Allein in der Region Emden werden jährlich rund 500.000 Megawattstunden Windstrom abgeregelt, also ungenutzt vernichtet. Warum nicht diesen Überschuss für Wasserstoff nutzen?
Was Herr Dohler hier beschreibt ist Sinnbild für die Hürden, mit denen viele Projekte der Energiewende zu kämpfen haben: Die Technik ist da, die Partner sind bereit, das Ziel ist klar. Was fehlt, ist politische Flexibilität und regulatorische Weitsicht.
Dohler formuliert es offen: „Unsere klare Erwartung an die neue Bundesregierung ist es, den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft mit einem langfristig stabilen Rahmen abzusichern.“ Dazu gehört eine Reform der EU-Vorgaben, der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren und vor allem eines: Vertrauen in die Marktakteure, auch ohne überregulierende Korsetts.
Grüner Wasserstoff kann viel: Er ist speicherbar, transportierbar, vielseitig einsetzbar. Aber er braucht Raum zum Atmen. Sonst wird aus der Vision einer klimaneutralen Industriezukunft eine träge Verwaltungsakte.
In der Wirtschaftsregion Düsseldorf arbeiten zahlreiche Partner unserer Unternehmerschaft zielgerichtet an der Wasserstoff-Thematik. Nennen möchte ich an dieser Stelle das Düsseldorfer Unternehmen Air Liquide (Mitglied bei „Chemie Rheinland“), dass in unserer Stadt sogar seit rund zehn Jahren (oder mehr?) eine Wasserstoff-Tankstelle betreibt. Und natürlich auch „unseren“ Wasserstoff-HUB im Rhein-Kreis Neuss, der seine Geschäftsstelle auf Gut Gnadental betreibt, dem Firmenstandort unserer ehemaligen Vorsitzenden Jutta Zülow.
Unsere Freunde und Partner zeigen Tag für Tag, dass der Wasserstoffhochlauf möglich ist – technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Aber, natürlich nicht mit angezogener Handbremse. Nun ist die Politik gefragt, unsere neue Bundesregierung, aber auch unsere aktive Landesregierung, neue „Wasserstoff-Spielräume“ zu schaffen, die der Markt dringend braucht.