Deutsche Autoindustrie am Scheideweg: Neue IW-Studie prognostiziert dramatischen Wandel bis 2030 – Nur wenige neue Jobs entstehen

(cs) Die deutsche Automobilindustrie, einst das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft, steht vor ihrer größten Transformation seit Jahrzehnten. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Consult im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zeichnet ein alarmierendes Bild: Bis 2030 könnten weitere 90.000 Arbeitsplätze in der Branche verloren gehen, nachdem bereits seit 2019 rund 55.000 Stellen wegfielen.
Ein Sektor im radikalen Umbruch
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Von den derzeit 1,2 Millionen Beschäftigten in der deutschen Autoindustrie arbeiten lediglich 182.000 Menschen in zukunftsträchtigen Bereichen wie Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung. Bereits bis Ende dieses Jahres könnten 18.000 Arbeitsplätze verschwinden, bis 2030 summiert sich die Zahl auf 98.000 verlorene Stellen.
Besonders dramatisch: Dem massiven Stellenabbau steht nur eine geringe Zahl neuer Arbeitsplätze gegenüber. Die Forscher prognostizieren für den Zeitraum bis 2030 lediglich 5.600 neu geschaffene Stellen. Das entspricht einem Netto-Beschäftigungsverlust von 7,8 Prozent.
IW-Ökonom Hanno Kempermann warnt vor einer “hohen Wahrscheinlichkeit”, dass diese düsteren Prognosen Realität werden. Der Experte sieht die deutsche Autoindustrie in einem “fundamentalen Veränderungsprozess”, der einzelne Regionen unter enormen Transformationsdruck setzt.
Regionale Brennpunkte der Krise
Die Studie identifiziert 36 Regionen, die besonders stark von der Transformation betroffen sind. Salzgitter steht dabei im Fokus: Hier hängen 14 Prozent aller Arbeitsplätze am Verbrennungsmotor. Im Saarpfalz-Kreis sind es immerhin noch knapp neun Prozent.
Während manche Standorte wie Heilbronn von ihrer günstigen Lage und der Nähe zu Universitäten profitieren, müssen andere um ihre Zukunft kämpfen. Städte wie Salzgitter oder Kassel haben bereits begonnen, sich an neue Technologien anzupassen. Stuttgart und Ingolstadt vereinen sowohl Vorteile als auch Herausforderungen.
Kritisch wird es für 19 Regionen, die vor besonders großen Herausforderungen stehen. Dazu zählen der niedersächsische Landkreis Northeim, Altenkirchen im Westerwald oder die Stadt Speyer. Hier droht ohne schnelle Anpassung ein wirtschaftlicher Kahlschlag.
Zwischen Hoffnung und Realität
Dennoch gibt es Lichtblicke. Die Region Kassel zeigt exemplarisch, wie Unternehmen intensiv in den Wandel investieren können. Solche Erfolgsgeschichten bleiben jedoch die Ausnahme, nicht die Regel.
Kempermann fordert politischen Rückenwind: “Die Politik muss dafür sorgen, dass solche Investitionen am Wirtschaftsstandort Deutschland wieder attraktiver werden.” Ohne entsprechende Rahmenbedingungen droht Deutschland im internationalen Wettbewerb um die Mobilität der Zukunft zurückzubleiben.
Ein Industriezweig im Wandel
Die IW-Studie macht deutlich: Die deutsche Automobilindustrie befindet sich in einem historischen Umbruchprozess. Der Übergang von Verbrennungsmotoren zu Elektroantrieben, von mechanischen zu digitalen Systemen erfordert nicht nur neue Technologien, sondern auch neue Qualifikationen.
Während die Gesamtzahl der Arbeitsplätze dramatisch sinken wird, entstehen gleichzeitig neue Berufsfelder. Die entscheidende Frage lautet: Gelingt es, die betroffenen Arbeitnehmer erfolgreich umzuschulen und in die neuen Bereiche zu integrieren? Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Deutschland diesen Spagat zwischen Tradition und Innovation erfolgreich bewältigen kann.
Die Automobilindustrie steht nicht nur vor einem technologischen, sondern auch vor einem sozialen Wandel. Wie dieser gestaltet wird, entscheidet über die Zukunft eines der wichtigsten deutschen Industriezweige.