Der digitale Zwilling – schnellere Prozesse, besseres Training: Wie digitale Abbilder ein wesentlicher Bestandteil der Industrie 4.0 bei Henkel werden
Die Somat-Fabrik von Henkel in Serbien gibt es zwei Mal. Einmal real – aus Stahl und Beton – in dem Städtchen Kruševac. Rund 120.000 Einwohner leben hier, die Henkel-Fabrik gehört zu den wichtigen Arbeitgebern der Region. Erst 2018 hat das Unternehmen rund 20 Millionen Euro investiert, um die Somat-Produktion anzuschieben. Seither wird das Geschirrspülmittel von hier aus in über 39 Märkte geliefert.
Und dann gibt es die gesamte Henkel-Fabrik inklusive Somat-Produktion eben noch ein zweites Mal. Virtuell, eingescannt und angeschlossen an das Internet. Ein komplettes Abbild der Fließbänder und Hallen. Ein Zwilling im Prinzip, und genau darum werden die virtuellen Abbilder von Maschinen, Gebäuden, Geräten auch Digital Twin genannt – digitaler Zwilling.
Ein Digital Twin ist eine komplette digitale Kopie von physischen Objekten. Es gibt zahlreiche Anwendungsgebiete in den verschiedensten Bereichen. Nicht nur in der Produktion, auch bei Energieanlagen, Schiffen oder ganzen Städten werden bereits heute solche virtuellen Zwillinge erstellt. Sensoren an den Anlagen erfassen wichtige Parameter. Es entstehen Datenpunkte, die zum Beispiel genutzt werden können, um Prozesse weiter zu optimieren und mögliche Schäden und Fehler frühzeitig zu erkennen.
Digital Twins bei Henkel: Das Tempo ist hoch und wird noch höher
Das Henkel-Werk in Kruševac ist damit ein lebendiges Beispiel moderner Produktion im Zeitalter der Industrie 4.0. An der Implementierung beteiligt sind unter anderem die Teams rund um Ahmad ElDeeb, Senior Manager International Engineering and Digital Transformation, sowie Johannes Holtbrügge, Senior Manager Digital Transformation bei Henkel Laundry & Home Care. Sie arbeiten weltweit an Digital Twins, einem wichtigen Baustein der Transformation bei Henkel.
Als wir uns zu einem virtuellen Gespräch treffen, schaltet sich Ahmad aus Mexiko und Johannes aus Amsterdam zu – auch das Team arbeitet hier voll international. Auch hier zeigen sich also die Vorteile einer virtuelleren Welt, die spätestens seit der Pandemie normaler geworden ist. Dass diese ein Beschleuniger für digitale Prozesse und damit auch für das Digital Twin-Projekt war, ist für die beiden klar: „Die Planungen während der Pandemie haben einen erneuten Schub bekommen. Plötzlich ist vielen klar geworden, welche Vorzüge ein digitales Abbild und die Verfügbarkeit von Echtzeit-Daten haben können“, sagt Johannes.
Auch deswegen arbeiten sie und ihre Teams mit Hochdruck an dem Digital Twin-Projekt weiter. Bereits vor Corona war das Tempo sehr hoch: 2016 wurde die Arbeit mit ersten Prototypen begonnen, seit circa vier Jahren arbeiten sie nun intensiv an der Digitalisierung der Fabriken: In dieser kurzen Zeit konnten bereits zehn der 31 Produktionsstätten aus dem Bereich Laundry & Homecare fertig digitalisiert werden. Vier weitere sind fest in der Planung und werden aktuell vorbereitet. Die Geschwindigkeit, mit der das Digital Twin-Projekt vorangetrieben wird, ist außergewöhnlich.
Exakte 3-D-Modelle schaffen ein genaues Abbild
Das zeigt sich auch in Kruševac: Bereits jetzt ist es möglich, große Teile des Werks virtuell zu besichtigen. Auf einer Karte der Firmen-Umgebung klickt man auf einen Datenpunkt und erhält eine komplette 3-D-Ansicht des Standpunkts – als stünde man mittendrin.
All das wird möglich durch eine moderne 3-D-Erfassungstechnik. In einer 3-D-Point Cloud werden alle Punkte der Produktionsanlage erfasst. Hierfür werden spezielle Hochleistungsscanner eingesetzt – diese ähneln auf erstem Blick den Fahrzeugen, wie sie Tech-Unternehmen verwenden, um unsere Straßen zu scannen. Nur etwas kleiner und wie ein Rucksack, auf dem Rücken eines Menschen. Dieser läuft die Räumlichkeiten ab und scannt so die Oberfläche der Fabrik. Es entsteht ein dreidimensionales Abbild, das kombiniert mit Aufnahmen aus der Fabrik zu einem wahrheitsgetreuen 3-D-Modell gerechnet werden kann.
Diese 3-D-Modelle ermöglichen es den Ingenieurinnen und Ingenieuren, Optimierungen innerhalb der Fabrik vorzunehmen. „Wir schaffen die Möglichkeit, durch eine virtuelle Version unserer Fabrik zu laufen. Mussten wir früher mit Zulieferern und Maschinenbauern noch aufwendige Begehungen machen, reicht nun dieses digitale Abbild. Nicht nur in Zeiten von COVID eine echte Erleichterung“, sagt Ahmad, der weltweit die Implementierung der Technologie in den Standorten koordiniert.
Dank des Digital Twins können Räume vorab geplant und mögliche Veränderungen simuliert werden. Wie können Wege innerhalb der Fabrik optimiert werden? Sind die Gänge breit genug? Was passiert, wenn bestehende Maschinen durch größere oder kleinere Einheiten ersetzt werden? All diese planerischen Fragen können am virtuellen Modell berechnet werden.
Industrie 4.0 in der Produktion: Daten sind der Rohstoff von morgen
Im Zeitalter der Industrie 4.0 lassen sich auch Produktionsprozesse weiter optimieren. Aspekte wie die Veränderung bestimmter Parameter im Produktionsablauf, die Anpassung von Kapazitäten oder der veränderte Einsatz von Rohstoffen können sich durch einen digitalen Zwilling simulieren lassen. Qualität und Output können so weiter gesteigert werden – zu geringeren Planungs- oder Umstellungskosten.
Die Zukunft der Produktion bleibt datenbasiert. Moderne Sensoren und Monitoring Tools ermöglichen es, jeden Datenpunkt innerhalb des Betriebs zu erfassen. Das zeigt sich auch in der Produktion: Jede Information der Maschinen ist digital vorhanden, Tablets für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören mittlerweile zum Standard. Diese wichtige Basisarbeit vor Ort ermöglicht dann die Übersetzung in die digitale Sphäre. Durch Digital Twins lassen sich diese Daten von überall in der Welt ablesen – in Echtzeit, als stünde man direkt davor.
Auch die Weiterbildung profitiert von digitalen Zwillingen
Eine zunehmende Digitalisierung von Produktionsprozessen schafft auch in der Aus- und Weiterbildung völlig neue Möglichkeiten. Bereits heute können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am digitalen Zwilling üben und erhalten einen ersten wichtigen Überblick über die Produktionsstätte, ohne unbedingt vor Ort zu sein. Moderne Virtual und Augmented Reality-Technologie kann so zukünftig zum Einsatz gebracht werden. Langfristiges Ziel soll es sein, virtuelle Räume zu schaffen und die Abläufe weiter zu verbessern.
Dennoch ist der Weg hin zu einem kompletten Abbild immer noch aufwendig. Aktuell ist vor allem die Gewinnung der 3-D-Daten sehr komplex. Bei jeder Änderung innerhalb einer Fabrik etwa müssen die speziellen Hochleistungsscanner die veränderte Umgebung aufnehmen. Die 3-D-Daten werden neu berechnet und auf die Fabrik angewendet. Mit modernen Smartphones und ihren LiDAR-Scannern lassen sich bereits jetzt exakte Abbilder von Umgebungen aufnehmen. Johannes und Ahmad sind sich daher sicher: In Zukunft wird die Gewinnung der 3-D-Daten weitaus einfacher.
Es ist noch ein wenig Arbeit, bis alle Daten und Anlagen digital weltweit verfügbar sind, aber Ahmad und Johannes sehen das Digital Twin-Projekt auf einem sehr guten Weg: „Mit der bisherigen Arbeit haben wir eine gute Basis geschaffen. Bereits jetzt profitieren wir alle von den Datenbeständen. Die Funktionalität wird sich weiter verbessern.“ Auch deswegen arbeiten sie an vielen Standorten rund um den Globus weiter, um mehr Fabriken und Produktionen zu digitalisieren und in die virtuelle Welt zu übersetzen.
Quelle: henkel.de