Die M+E-Tarifrunde 2024: Darum geht es! Interview mit Hauptgeschäftsführer Michael Grütering

links im Bild: Hauptgeschäftsführer Michael Grütering Archivfoto: Frank Wiedemeier

Am heutigen Donnerstag (12.09.) starten in Aachen die Tarifverhandlungen für die nordrhein-westfälischen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Die IG Metall fordert eine Lohnerhöhung von sieben Prozent für die bundesweit 4,6 Millionen Beschäftigten. Michael Grütering, Hauptgeschäftsführer der Verbände in Düsseldorf und Gelsenkirchen, vertritt die regionalen Unternehmen vor Ort. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall warnt vor einem drohenden Abbau der Industrie in Deutschland.

Frage: Herr Grütering, die Metall- und Elektroindustrie steckt weiterhin in der Rezession. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage und die Entwicklung in der Branche?

Michael Grütering: Die Situation in der Metall- und Elektroindustrie ist leider nach wie vor kritisch. Im ersten Quartal 2024 lag die Produktion um 7 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres, und der Rückstand zum Vorkrisenniveau von 2018 hat sich auf 14 Prozent vergrößert. Auch die Auftragseingänge sind weiter gesunken – um 7 Prozent im Vergleich zu 2023. Besonders alarmierend ist, dass zwei von fünf Unternehmen mittlerweile von einem Auftragsmangel betroffen sind. Die Rezession hält an, und eine Trendwende ist derzeit nicht in Sicht. Das gilt im Besonderen für unsere Betriebe in der Region Düsseldorf und NRW.

Frage: Die Zahlen aus dem ifo-Konjunkturtest bestätigen diese Tendenz. Was bedeuten diese Entwicklungen konkret für die Betriebe?

Michael Grütering: Die schwache Nachfrage und die sinkenden Auftragsbestände machen den Unternehmen schwer zu schaffen. Das hören wir auch immer wieder im Rahmen der Gespräche, die wir mit Düsseldorfer Unternehmerinnen und Unternehmern führen. Im Juli 2024 fiel das ifo-Geschäftsklima in der Metall- und Elektroindustrie regelrecht ein. Besonders besorgniserregend ist die Auslastung unserer Betriebe, die im Juli nur noch bei 78 Prozent lag – ein Niveau, das wir zuletzt während der Finanzkrise 2009 und der Corona-Pandemie 2020 gesehen haben. Das zeigt, dass die Situation strukturell bedingt ist und nicht einfach mit einer konjunkturellen Erholung behoben werden kann.

Frage: Woran liegt es, dass sich die M+E-Industrie trotz einer stabilen Weltkonjunktur weiterhin in einer Rezession befindet?

Michael Grütering: Ein großes Problem ist, dass Deutschland sich zunehmend vom weltweiten Wachstum entkoppelt. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert eine stabile Weltkonjunktur, doch davon profitieren wir in Deutschland nur wenig. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wir haben ein strukturelles Standort- und Wettbewerbsproblem. Die Rahmenbedingungen für Investitionen am Standort Deutschland stimmen nicht mehr. Hohe Energiekosten, steigende Bürokratie und eine insgesamt zu wenig investitionsfreundliche Politik hemmen das Wachstum.

links im Bild: Hauptgeschäftsführer Michael Grütering Archivfoto: Frank Wiedemeier

Frage: Welche Maßnahmen halten Sie für notwendig, um die Lage zu verbessern?

Michael Grütering: Wir brauchen dringend eine Wirtschaftswende. Die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessern und Investitionen fördern. Dazu gehört eine langfristige Strategie, die Deutschland wieder wettbewerbsfähiger macht. Das bedeutet weniger Bürokratie, bessere Infrastrukturen und vor allem eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung. Die aktuelle Wachstumsinitiative der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es fehlt der entscheidende Durchbruch. Was wir jetzt brauchen, ist eine umfassende und tiefgreifende Reform, die sich als „Agenda-Moment“ erweist – ähnlich wie bei den Reformen der frühen 2000er Jahre.

Frage: Was bedeutet diese schwierige wirtschaftliche Lage für die bevorstehende Tarifrunde 2024?

Michael Grütering: Die Tarifrunde 2024 wird zweifellos unter diesen herausfordernden Bedingungen stattfinden. Die Rezession und die schwache Auslastung der Unternehmen machen es den Betrieben schwer, weitere Belastungen zu tragen. Zugleich sind die Arbeitnehmer von der Inflation und den steigenden Lebenshaltungskosten betroffen. Es wird also darum gehen, einen fairen Ausgleich zu finden, der die Interessen beider Seiten berücksichtigt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Branche nicht weiter gefährdet.

Frage: Wie schätzen Sie die Verhandlungsposition der Gewerkschaften ein?

Michael Grütering: Die Gewerkschaften werden verständlicherweise ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen in den Vordergrund stellen, gerade angesichts der Inflation. Doch wir müssen auch die Realität in den Betrieben sehen. Wenn wir es nicht schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die strukturellen Probleme anzugehen, werden sich die Bedingungen für alle verschlechtern – für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Wir haben momentan in den Betrieben den Eindruck, dass die Beschäftigten glauben, noch ist alles nicht so schlimm und eine kräftige Erhöhung der Entgelte sei gerechtfertigt. Tatsächlich ist die Situation  in den Betrieben aber viel ernster, als die Beschäftigten es  glauben. Es wird darauf ankommen, in den Verhandlungen pragmatische Lösungen zu finden, die sowohl die Beschäftigten entlasten als auch die Unternehmen in die Lage versetzen, langfristig zu bestehen.

Der Flächentarifvertrag, der verhandelt wird, betrifft theoretisch 4,6 Millionen Beschäftigte. Archivfoto: Unternehmerschaft Düsseldorf

Frage: Welche Rolle spielt dabei die Verantwortung der Politik?

Michael Grütering: Die Politik trägt eine entscheidende Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Ohne einen klaren Kurs zur Wirtschaftswende wird es schwer, den Teufelskreis aus schwacher Nachfrage, sinkenden Aufträgen und geringerer Auslastung zu durchbrechen. Wir brauchen dringend Maßnahmen, die den Standort Deutschland wieder attraktiv für Investitionen machen und das Vertrauen der Unternehmen in die Zukunft stärken. Die Tarifverhandlungen werden eng mit den politischen Entscheidungen verknüpft sein, denn ohne eine verbesserte Wirtschaftspolitik wird es für die Branche schwer, aus der Krise herauszukommen.

Frage: Was erwarten Sie konkret von der Bundesregierung?

Michael Grütering: Wir erwarten von der Bundesregierung eine klare und entschlossene Wirtschaftspolitik, die den Fokus auf Wachstumsförderung legt. Das bedeutet konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Energiekosten, Bürokratieabbau und gezielte Investitionen in Infrastruktur und Innovation. Es geht darum, Deutschland als Wirtschaftsstandort wieder zu stärken und wettbewerbsfähig zu machen. Nur so können wir die M+E-Industrie stabilisieren und ihr wieder eine positive Perspektive geben.

Frage: Abschließend, wie blicken Sie auf das Jahr 2024 – mit Blick auf die Tarifrunde und die wirtschaftliche Entwicklung?

Michael Grütering: Das Jahr 2024 wird sicherlich herausfordernd, aber es bietet auch Chancen. Wenn wir in den Tarifverhandlungen einen vernünftigen Weg finden und die Politik entschlossen handelt, können wir die Weichen für eine langfristige Erholung stellen. Es liegt jetzt an allen Beteiligten, verantwortungsvoll zu handeln und gemeinsam Lösungen zu finden, die die M+E-Industrie wieder auf Kurs bringen.

Das Gespräch führte Christoph Sochart