Familienfreundliche Unternehmen: Männer gewinnen, Frauen verlieren
Die Familienfreundlichkeit deutscher Unternehmen entpuppt sich immer mehr als Wohlfühloase für den Mann. Während Väter eine zunehmende Verbesserung ihrer beruflichen und familiären Situation wahrnehmen, äußern sich Mütter deutlich unzufriedener. Familienväter erleiden zudem weniger berufliche Nachteile als Mütter. Dies ist das Ergebnis der dritten repräsentativen Befragung der internationalen Unternehmensberatung A.T. Kearney zum Thema familienfreundliche Unternehmen in Deutschland.
Lediglich 3 Prozent der Mütter im Alter zwischen 25 und 39 Jahren und nur 5 Prozent aller Frauen bescheinigen ihren Unternehmen eine Verbesserung familienfreundlicher Leistungen in den vergangenen zwölf Monaten. Von einer Verschlechterung sprechen sogar 17 Prozent der jungen Mütter und 11 Prozent der Frauen insgesamt. Bei den Männern sieht das Bild wesentlich positiver aus. 28 Prozent fühlen sich besser, nur 11 Prozent schlechter. Auch die Gesamtzufriedenheit mit der Arbeitssituation ist bei Vätern mit 83 Prozent deutlich höher als bei Müttern (64 Prozent). Väter (75 Prozent) würden ihren Arbeitgeber deshalb wesentlich häufiger weiterempfehlen als Mütter (58 Prozent).
Die A.T. Kearney-Studie basiert auf gut 1.000 Interviews mit Beschäftigten in unterschiedlichen Branchen, durchgeführt im Frühjahr 2015. Die Umfrage gilt als Gradmesser für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie misst Familienfreundlichkeit von Unternehmen nicht an deren Leistungen, sondern aus dem Blickmittel unmittelbar Betroffener. Begleitet wird die Untersuchung vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin.
Die Unzufriedenheit bei den Frauen nimmt zu
„Der Handlungsdruck in Unternehmen ist anscheinend noch immer nicht hoch genug. Manches scheitert an der fehlenden Kultur oder an mangelnder Kommunikation. Trotzdem machen wir Fortschritte. Mehr Beschäftige nehmen familienfreundliche Leistungen in Anspruch und sind sehr zufrieden damit. Aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass es Verlierer gibt. Und das sind eindeutig die Frauen“, sagt Martin Sonnenschein, Zentraleuropachef von A.T. Kearney und Initiator der Reihe „361 Grad – Die Neuerfindung der Familie“. Frauen, so Sonnenschein, leisten nach wie vor die Hauptlast der Erziehungs- und Hausarbeit. „Der Lohn dafür sind zum Teil gravierende Nachteile und Einschnitte im Beruf. Die Unzufriedenheit ist hoch. Und sie nimmt zu.“
Im Vergleich zu 2013 befürchten heute generell mehr Beschäftigte Benachteiligungen beim beruflichen Fortkommen, weniger attraktive Aufgaben in der Firma, Geringschätzung ihrer Vorgesetzten und Probleme im Kollegenkreis, wenn sie familienfreundliche Leistungen im Unternehmen in Anspruch nehmen. Bei Männern ist dies zu einem Viertel der Fall, bei Frauen jedoch zu einem Drittel. Am größten ist die Sorge vor finanziellen Einbußen. Fast jede zweite Mutter (47 Prozent) ist davon betroffen, aber nur jeder vierte Mann (27 Prozent). Jede dritte Mutter (34 Prozent) stellt sich auf Konflikte mit Kollegen ein. Bei Vätern trifft das nur auf 16 Prozent zu. Am weitesten verbreitet ist die Angst um den beruflichen Erfolg bei kinderlosen Frauen im Alter zwischen 30 und 39 Jahren. Jede zweite sorgt sich um ihre Karriere.
Flexibilität ja – aber ohne Erwerbskarriere
Für die unterschiedlichen Sichtweisen von Frauen und Männern gibt es zwei Gründe. Martin Sonnenschein: „Familienfreundlichkeit bewegt sich aus der Ecke Frauenförderung. Politik und Wirtschaft haben berufstätige Väter als Zielgruppe entdeckt und dankbare Abnehmer gefunden. Viele Unternehmen richten bestehende Maßnahmen explizit an ihre männliche Belegschaft. Aber nach wie vor sind es überwiegend Mütter, die Leistungen in Anspruch nehmen – und damit berufliche Einschnitte und Nachteile in Kauf nehmen, etwa längere Elternzeiten oder mehr Teilzeit.”
Die Angaben werden von Erhebungen des Statistischen Bundesamts gestützt. Danach sind nur 12 Prozent der Elterngeld-Bezieher Männer, 88 Prozent Frauen. Fast vier von fünf Vätern (79 Prozent), die Elterngeld beziehen, entschieden sich für die zweimonatige Mindestbezugsdauer. Mütter hingegen beziehen Elterngeld fast ein ganzes Jahr. Das Bundesfamilienministerium stellt in seiner Paar-Studie fest: Arbeiteten vor der Geburt des ersten Kindes bundesweit 71 Prozent beide Partner in Vollzeit, so galt dies nach der Geburt lediglich für 15 Prozent der Eltern. Bei mehr als der Hälfte der Paare mit kleinen Kindern war nach der Elternzeit nur noch ein Partner – meistens der Mann – voll berufstätig, während der andere – in der Regel die Frau – in Teilzeit beschäftigt war. 17 Prozent der Mütter schieden komplett aus dem Berufsleben aus.
„Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern viel Flexibilität – ohne dass jedoch damit eine Erwerbskarriere gesichert wird. Teilzeitangebote oder Auszeiten sind vor allem für Frauen mit erheblichen negativen Langzeitfolgen verbunden“, kommt die A.T. Kearney-Studie zu dem Schluss. „Wir brauchen daher Programme in Unternehmen, die Mütter nicht in eine Sackgasse, sondern auf den „fast track“ führen. Frauen, die nach dem ersten Kind Vollzeit arbeiten wollen, werden genauso kritisch gesehen wie Männer, die Teilzeit anmelden. Wir müssen raus aus diesen Geschlechtsstereotypen“, sagt Martin Sonnenschein.
Familienarbeitszeit neu denken
Sonnenschein fordert Unternehmen auf, ihre Präsenzkultur zu überdenken und Karrieren besonders von Führungskräften auch danach zu beurteilen, wie familienfreundlich sie sich im Umgang mit ihren Mitarbeitern verhalten. Teil- oder Auszeit sollten als Karrierebausteine wertgeschätzt werden. An die Politik richtet Sonnenschein die Anregung, die bisherigen zwei Vätermonate gesetzlich so zu verankern, dass die Väter nur dann Elterngeld erhalten, wenn die Frau in der Zeit der Vätermonate tatsächlich arbeitet. Aktuell nutzen viele Paar die Zeit gerne als gemeinsamen Urlaub. Auch über eine gemeinsame Familien-Wochenarbeitszeit von 64 Stunden für Eltern und die Verrechnung von intensiveren Beschäftigungszeiten mit temporärer Teilzeit oder Unterbrechungen müsse neu nachgedacht werden.