Livestreaming und hybride Events 2.0: One-Hit-Wonder oder ein Genre mit Zukunft

Livestreams und hybride Events, die eine reine 1:1-Abbildung liefern, sind Old-School. Es kommt darauf an, dass die vielfältigen Möglichkeiten neu entdeckt und spielerisch orchestriert werden, meint Frank Wiedemer, der für uns erfolgreich u.a. Livestreams, Remoteevents und Podcasts produziert.

Es ist noch gar nicht allzu lange her, da waren die Begriffe Livestreaming und hybride Events etwas für eingeweihte Technikfreaks. Heute, im Sommer 2022, können die meisten von uns ein Lied über virtuelle Meetings mit ZOOM, MS-Teams oder WebEx singen. Die Strophen handeln von Webcams und Mikrofonen, von Bandbreiten und Netzwerkverbindungen, von Greenscreens und virtuellen Hintergründen. Zwar haben zwei Jahre Pandemie der Digitalisierung einen kräftigen Schub versetzt, aber jetzt hängt der Song zu den Ohren heraus. Bleiben Livestreams und hybride Events als One-Hit-Wonder in Erinnerung, oder steckt ein bislang unbekanntes Genre aktuell in einem Zwischentief und steigt bald zu neuen Höhen auf? Ein Hintergrundbericht von Frank Wiedemeier.

Vielleicht hilft es, wenn wir uns die Eigenschaften digitaler Events nochmals vergegenwärtigen, sozusagen die Noten genauer unter die Lupe nehmen. Wir haben die Mikros und Webcams unserer Laptops entdeckt, weil persönliche Treffen schlicht nicht möglich waren. Zu groß die berechtigte Sorge vor Ansteckung und weiterer Ausbreitung der Pandemie. Gewissermaßen ein Instrument zur Pandemieeingrenzung, aber auch, um trotz Einschränkungen weiterhin in Kontakt und Austausch zu bleiben. Zunächst im Kleinen, innerhalb privater Communities, recht schnell dann auch im Großen, innerhalb von Unternehmen, lokal, regional, international.

Serviceanbieter von Videoplattformen erkannten ihre Chancen, bauten Angebote sukzessive aus, gestalteten immer benutzerfreundlichere Software. Auf Seiten der Anwender wuchs mit jedem weiteren virtuellen Meeting die Sicherheit im Umgang mit unterschiedlichsten Softwareprodukten. Was ehemals nur wenige interessierte, wurde zum digitalen Allgemeinwissen. Virtuelles Leben, auf zahlreichen Kanälen, zu jeder Zeit.

Ich selbst habe bis zum März 2020 die Videofunktion meines Laptops nur gelegentlich benutzt, die meiner Kameras selten. Sowohl der zeitliche Aufwand zur Erstellung und Nachbearbeitung als auch die notwendige Investition in Rechnerleistung war mir zu hoch. Mit Beginn der Pandemie hat sich diese Sicht schlagartig geändert.

Mich haben die neu entdeckten Möglichkeiten gepackt. Einerseits aus unternehmerischem Interesse, denn mein Arbeitsbereich der fotografischen Eventdokumentation kam binnen kürzester Zeit völlig zum Erliegen und es musste eine neue Einkommensquelle erschlossen werden. Andererseits auf Grund der für mich zunehmend erkennbarer werdenden Instrumente, ihrer individuellen Klänge und der damit verbundenen Chancen zur Gestaltung. Heute sehe ich längst kein einzelnes Instrument mehr. Ich sehe einen ganzes Orchester und damit die Option auf vielfältige und abwechslungsreiche audiovisuelle Streams.

Worin liegen aber die Gründe für das Spielen nach den immer gleichen Noten in immer gleicher Abfolge?

Wir wollen Sicherheit. Ein Wunsch, der in der Natur des Menschen fest verankert ist. So ist der spielerische Umgang aus der Anfangsphase, starren Abfolgen und Strukturen gewichen. Erstmals erprobte und dann in der Realisation einstudierte Streamingszenarien werden verfestigt und auf immer gleiche Weise umgesetzt. Das ist sinnvoll und gut, denn nicht jedes Event, jedes Meeting braucht Aufnahmen aus mehreren Perspektiven, eine abwechslungsreiche Lichtführung oder die kreative Kombination aus den zahlreichen Möglichkeiten zur Interaktion zwischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Ort und vor den Endgeräten. Und ja, je mehr die zahlreichen Möglichkeiten miteinander kombiniert und aufeinander abgestimmt werden müssen, desto mehr kann auch einmal nicht alles nach Plan funktionieren. Daher macht Abwägung von Aufwand und die damit einhergehenden möglichen Risiken auf jeden Fall Sinn.

Wenn aber damit eine Richtung eingeschlagen wird, die zur Folge hat, dass jedes digitale Event in der immer gleichen Art und Weise produziert wird, ist Langeweile und Übersättigung vorprogrammiert. Wenn Chancen und Möglichkeiten ungenutzt bleiben und das gelöste Spielen der digitalen Klaviatur ausbleibt, gibt es keine neuen audiovisuellen Sounds. Was abhilft, ist ein „Zurück auf Anfang“, aber mit den vielfältigen Erfahrungen aus den bisher produzierten Livestreams und hybriden Events.

Mehr Abwechslung

So einfach, so wahr. Wer Menschen vor den Bildschirmen erreichen möchte, muss audiovisuelle Erlebnisse schaffen. Dazu gehören Aufnahmen aus mehreren Perspektiven, die live und lebendig miteinander kombiniert werden: Totale, Halbtotale, Close-up, gepaart mit ansprechenden Sounds. Wer bewegen will, muss bewegende Bilder liefern.

Mehr Einstimmung

Während Gäste im Studio nicht selten durch das Erlebnis des gesamten Settings in die Szenerie hereingeholt werden, bleibt den Gästen vor dem Bildschirm allenfalls der Blick auf einen Countdown. Eine einfache Lösung ist ein Livegehen bereits vor dem eigentlichen Sendetermin, vom Ort des Geschehens, um auch hier ein erstes Interesse zu wecken. In einem weiteren Schritt sorgt eine unverfängliche Eisbrecherfrage, gestellt über ein passendes Tool, dafür, dass sich auch Zugeschaltete von Beginn an als Teil des wahrgenommenen Publikums sehen.

Mehr Interaktion

TV und Radio machen es erfolgreich vor: Die Einbindung von Zuschauern über möglichst einfache Kanäle. Warum also nicht noch mehr als bislang Verbindungen zwischen Sprecherinnen und Sprechern von Ort schaffen und Gelegenheit zur Interaktion bieten? Umfragetools vermehrt einsetzen und digitale Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit deren eigenem Videobild zuschalten und damit allen Mehrwert bieten.

Mehr Varianten

Durch geeignete Soft- und Hardware können einzelne Videostreams aus bestehenden Konferenzschaltungen herausgelöst und zu völlig neuen und individuellen Screenlayouts kombiniert werden. Pin-Farming gehört der Vergangenheit an. Leistungsfähige Netzwerkprotokolle, wie NDI und SRT, schaffen die Basis, um über einen einfachen Link Videostreams direkt vom Handy, Tablet oder PC in die Bildregie zu senden und virtuelle Produktionen zu realisieren.

Mehr Fokussierung

Insbesondere bei Fachveranstaltungen fällt immer wieder auf, das Vorträge wesentlich plakativer, visuell ansprechender und weniger kleinteilig aufbereitet werden müssen. Dies erhöht die Aufmerksamkeit der Zuschauer im Raum und vor den Monitoren. Frust und schwindendes Interesse ist vorprogrammiert, wenn Referentinnen und Referenten sich in Details verlieren und nicht auf den Punkt kommen. Ein entsprechendes Vortragstraining in Form einer Generalprobe samt Aufzeichnung optimiert Vorträge für alle Beteiligten.

Mehr Plattformen

Ob direkt vom Ort des Geschehens über einen leistungsfähigen Encoder oder über einen speziellen Dienst mit der Möglichkeit zur gleichzeitigen Streamdistribution: mit Multistreaming können Zuschauerzahlen in die Höhe getrieben werden. Flankiert durch ein aktives Social-Media-Team und mit Hilfe geeigneter Software können die Reaktionen der Zuschauer live eingeblendet werden.

Mehr Konzentration

Die klassische Laufzeit für einen TV-Beitrag liegt bei rund 90 Sekunden, die Länge eines gesprochenen Radiobeitrags bei 90 bis 300 Sekunden und die durchschnittliche Textlänge eines Zeitungsartikels liegt bei knapp 800 Zeichen. Dies steht im krassen Gegensatz zu Vorträgen von 20 oder mehr Minuten Dauer. Drei Gründe mehr, um Beiträge, welcher Art auch immer, so anzupassen, dass einerseits die Botschaft und andererseits die Zielgruppe nicht verloren geht. Hier gilt ganz klar „Weniger ist mehr“.

Mehr Vermarktung

Auch hier muss das Rad nicht neu erfunden werden. Wie Streamingserien, so können auch Fachvorträge den Cliffhanger nutzen und so aufbereitet werden, dass ein kurzer Beitrag die wesentlichen Punkt aufzeigt und anreißt, und ein weiterer Beitrag – oder gar mehrere Beiträge – die Vertiefung bringen. Auf diese Weise werden Kernbotschaften plakativ gesetzt und Chancen aufgebaut, um umfangreicheres Wissen in Form von „Video- on-demand“ über geeignete Plattformen zu publizieren. Zusätzlich besteht die Möglichkeit zur Monetarisierung des aufbereiteten Wissens.

Mehr Sicherheit

Je umfangreicher die Produktion und je vielfältiger die eingesetzten Technologien, desto höher ist auch die Möglichkeit des Ausfalls einzelner Systeme. Um im Bild zu bleiben: der Ton wird nicht getroffen, bei beherztem Spiel reißt eine Saite, ein Übertragungskabel hat eine Schwachstelle. Alles kein Problem, wenn ein dem Event angemessenes redundantes System installiert ist. Dies gilt sowohl für sämtlich eingesetzte Audio- und Videotechnik als auch für den mitunter anfälligen Distributionsweg Internet.

Fazit

Livestreams und hybride Events, die eine reine 1:1-Abbildung liefern, sind Old-School. Es kommt darauf an, dass die vielfältigen Möglichkeiten neu entdeckt und spielerisch orchestriert werden. So entstehen audiovisuelle Sounds, die Zuschauer – ob vor Ort oder an den Bildschirmen – gleichermaßen genießen und attraktiv finden.


Autor:
Frank Wiedemeier M.A. (54) Senior Content Producer

Wiedemeier Kommunikation GmbH Mühlenkamp 54
41352 Korschenbroich

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E-Mail: wiedemeier@wiedemeier-kommunikation.de Telefon: 0175-4525234