Spitzengespräch Bündnis Zukunft der Industrie: Wie kommen wir gestärkt aus der Krise?

Die deutsche Industrie steht weiter unter Druck. Daran ließen die 17 Organisationen des „Bündnis Zukunft der Industrie“ in ihrem Spitzengespräch mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier keinen Zweifel. Im Zentrum des Gesprächs standen die aktuelle industriepolitische Lage und mögliche Auswege aus der Krise. 

Die Forderungen der chemisch-pharmazeutischen Industrie für ein erfolgreiches Refit-Programm der Bundesregierung brachten BAVC-Präsident Kai Beckmann, der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis und VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup im Spitzengespräch mit Nachdruck ein. Auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sowie Vertreter weiterer Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften berichteten aus ihren Branchen. 

Wirtschaftliche Lage bleibt angespannt 

In der chemisch-pharmazeutischen Industrie gab es im Frühjahr 2020 einen Produktionseinbruch, der aber deutlich milder verlief als in der Industrie insgesamt. Unsere Branche konnte mit Blick auf die produzierten Mengen schon ab Sommer 2020 bis zum Ende des Jahres wieder deutliche Steigerungen verzeichnen. Im Januar 2021 kam es dann erneut auch in der chemisch-pharmazeutischen Industrie zu einem leichten Rückschlag. In Summe lag die Produktion dennoch gut vier Prozent höher als im Januar 2020.

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STANDPUNKT BAVC-Präsident Kai Beckmann

„Gut 20.000 Betriebe, über sechs Millionen Beschäftigte und fast 700 Milliarden Euro direkter Beitrag zur deutschen Wertschöpfung pro Jahr – das sind keine Superlative, sondern Fakten aus der deutschen Industrie. Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit der Politik Wege finden müssen, unsere Industrie zukunftsfest zu machen. Auch das ist eine Lehre aus der Pandemie: Ein stabiler Staat braucht eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft braucht eine starke Industrie!“

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Die im Jahresverlauf 2020 in vielen Unternehmen eingetretenen Verluste sind jedoch mit dem Aufholprozess nicht verschwunden; sie finden sich in den Bilanzen wieder und stehen dauerhaft nicht mehr für Investitionen, Forschung und Entwicklung zur Verfügung. Und selbst mit dem für 2021 zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Wachstum von etwa drei Prozent bräuchte die Wirtschaft noch mindestens zwei weitere Jahre mit ähnlicher Erholungsdynamik, um wieder an die konjunkturell erfolgreiche Zeit Mitte der 2010er Jahre anzuknüpfen. Dies wird jedoch nicht von selbst passieren. Dafür müssen jetzt die wirtschaftspolitischen Weichen konsequent und überall auf Vorfahrt für Wachstum gestellt werden – so lautet die gemeinsame Forderung der Bündnispartner.

Vorfahrt für Wachstum – welche Weichen müssen gestellt werden?  

Höchste Priorität muss eine Beschleunigung der Impfungen haben. Je eher wir eine Durchimpfung erreichen, umso besser für die Erholung von Wirtschaft und Gesellschaft. Der BAVC hat sich deshalb frühzeitig in der Politik dafür eingesetzt, auch Betriebsärzte in die Impfstrategie der Bundesregierungmit einzubeziehen.

Die Impfbereitschaft der Mitarbeiter ist vor Ort in den Unternehmen erfahrungsgemäß hoch und verbandsübergreifende Umfragen haben gezeigt, dass die werksärztlichen Strukturen schnell einsatzbereit sind. Nach unseren Berechnungen könnten die über 500.000 Beschäftigten unserer Industrie innerhalb eines Monats geimpft werden.

Bis in ausreichender Menge Impfstoff verfügbar ist und die Belegschaften tatsächlich geimpft sind, können Selbst- und Schnelltests eine wertvolle Brücke in der Pandemiebekämpfung sein. Der BAVC unterstützt daher ausdrücklich den Appell der Spitzenverbände an die Unternehmen, ihren Beschäftigten Selbsttests, und wo dies möglich ist, Schnelltests anzubieten. 

Belastungsmoratorium ernsthaft umsetzen 

Für eine schnelle Erholung der Wirtschaft bleiben aber die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zentral. Unsere Unternehmen brauchen Freiräume, weniger Bürokratie und stattdessen mehr Unterstützung für einen reibungslosen internationalen Handel. Die Bundesregierung sollte sich daher in einem ersten Schritt ernsthaft an ihr Bekenntnis zum Belastungsmoratorium halten. Neue Gesetze, deren positive Wirkung zweifelhaft, deren bürokratiesteigernde Wirkung hingegen sicher ist, sind nicht angebracht (z.B. Sorgfaltspflichtengesetz und Rechtsanspruch auf mobile Arbeit). In einem zweiten Schritt muss auch das bestehende Umfeld für wirtschaftliches Handeln überprüft und wieder weitaus mehr auf Wachstumsförderung zugeschnitten werden. Dies wird die zentrale Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein.

Sozialsysteme im Blick behalten 

Unsere Sozialsysteme haben während der Corona-Pandemie gut funktioniert und viele Krisenfolgen abgefedert. Die Krise darf aber nicht den Blick der Politik auf die Herausforderungen verstellen und von dringend notwendigen Strukturreformen ablenken. Aufgrund des demografischen Wandels stehen die Sozialversicherungen schon lange unter Druck und befinden sich inzwischen in einer besorgniserregenden finanziellen Schieflage. Die nächste Bundesregierung täte gut daran, grundlegende Reformen auf den Weg zu bringen – auch wenn dies nicht bei allen Wählern gut ankommt. Die Steuer- und Abgabenbelastung der Unternehmen muss insgesamt wieder auf ein wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden. Ansonsten findet die Wirtschaft nicht zurück auf den Wachstumspfad und die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert sich.

In Ausbildung investieren 

Nicht das Jahr 2020, sondern 2021 wird die eigentliche Bewährungsprobe für den Ausbildungsmarkt. Denn auch in der Chemie-Industrie gerät die Ausbildung zunehmend von zwei Seiten unter Druck: Zum einen führen strukturelle Effekte wie Digitalisierung oder Elektromobilität in den Unternehmen längst dazu, dass die Ausbildung über den Bedarf hinaus auf dem Prüfstand steht. Zum anderen ist die Vor-Ort-Ausbildung unter Corona-Bedingungen erheblich aufwändiger und schränkt verfügbare Ausbildungskapazitäten ein. 

Angesichts dieser Herausforderungen zeigt das weiterhin große Engagement unserer Betriebe, wie wichtig den Unternehmen die duale Ausbildung ist. Moderne Ausbildungsberufe mit digitalen Wahl- und Zusatzqualifikationen wie Chemikanten, die Labor- oder die Metall- und Elektroberufe bereiten junge Menschen optimal auf die Arbeitswelt der Zukunft vor. Auch hier sollte die Politik den Unternehmen jedoch Freiräume lassen und keine zusätzlichen Fesseln anlegen. Vielmehr sollte sie sich auf die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur konzentrieren. Dazu zählen auch die Berufsschulen, die seit Jahren unter einer schlechten Ausstattung leiden.