Tarifrunde startet in einer schwierigen Ausgangslage

Für unsere Podcast- und Internetfreunde berichten wir heute (16.) von den in Gelsenkirchen beginnenden Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie in NRW.

Die IG Metall fordert eine Lohnerhöhung von 8 Prozent. Die NRW-Metallarbeitgeber wiesen die Forderung als „völlig unrealistisch und überzogen“ zurück. Alle M+E-Branchen lägen immer noch zum Teil deutlich unter dem Vorkrisenniveau, eine Besserung sei angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Welt nicht zu erwarten. Zudem belasteten sie hohe Preise für Rohstoffe und Vorprodukte. Die Unternehmen stünden zudem durch die anstehende Transformation unter massivem strukturellem Veränderungsdruck. „Eine auch nur annähernde Umsetzung dieser Forderung würde viele Betriebe überfordern und zahlreiche Arbeitsplätze im bedeutendstem Industriezweig des Landes aufs Spiel setzen“, erklärte Michael Grütering, Hauptgeschäftsführer von „düsseldorf metall“, dem Düsseldorfer Arbeitgeberverband der hiesigen Metall- und Elektroindustrie.

Die auf den ersten Blick noch gute Auftragslage sei trügerisch. Die IG Metall ignoriere, dass die anhaltenden Störungen der internationalen Lieferketten für eine extrem belastende und volatile Lage in der Industrieproduktion sorgten. „Unseren Unternehmen nutzen die vielen Bestellungen gar nichts, wenn Rohstoffe, Materialien und Vorprodukte verspätet, in viel geringerem Umfang, dazu zu exorbitant gestiegenen Preisen oder schlimmstenfalls erst gar nicht auf dem Hof ankommen“, sagte Michael Grütering. Die massiv gestiegenen Energiekosten verschärften die Lage noch. Das alles führe zu erheblichen Einbußen bei Umsätzen und Gewinnen oder treibe zunehmend viele Betriebe in die Verlustzone. Diese höchst unsicheren Zeiten machten die Ausgangslage vor der Tarifrunde 2022 ausgesprochen schwierig. „Darum ist es so wichtig, dass jetzt nicht auch noch die Tarifpolitik den Unternehmen nicht verkraftbare Belastungen aufbürdet“.

Als „so ernst wie selten zuvor“ hatten zwischenzeitlich die NRW-Metallarbeitgeber die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland bezeichnet. Die Industrie befinde sich inmitten einer dramatischen Energiepreiskrise. Außerdem bereite den Unternehmen die Versorgungssicherheit bei Strom und Gas in den bei-den kommenden Wintern weiterhin erhebliche Sorgen. „Beides ist für unseren Industriestandort und damit auch für die Arbeitsplätze eine existenzielle Bedrohung“, erklärte der Präsident des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen (METALL NRW), Arndt G. Kirchhoff, am Freitag in Gelsenkirchen. Bei der ersten Tarifverhandlung für die rund 700.000 Beschäftigten dieses Industriezweigs in NRW betonte er, die Tarifrunde 2022 finde in einem noch schwierigeren und unsicheren Umfeld statt als während der Corona-Pandemie. „Vor diesem Hintergrund wirkt die Acht-Prozent-Forderung der IG Metall wie aus der Zeit gefallen“, sagte Kirchhoff. Er verstehe die Sorgen der Beschäftigten, erwarte aber, dass die IG Metall auch die Ausnahmesituation in den Betrieben zur Kenntnis nehme.

Kernaufgabe der nächsten Wochen und Monate müsse es sein, die Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit der Industrie in Deutschland zu gewährleisten. Dazu müsse auch die Tarifpolitik beitragen. Für viele M+E-Unternehmen stelle sich die Frage, ob hierzulande Investitionen noch wirtschaftlich darstellbar seien. „Es muss alles getan werden, damit wir auch in zehn Jahren noch Industriestandort sind“, so Kirchhoff. Das werde aber nicht zu schaffen sein, wenn die Kosten der Unternehmen durch eine überzogene Tarifpolitik zusätzlich massiv in die Höhe getrieben würden. Tarifverträge müssten auch jene Betriebe verkraften können, denen es wirtschaftlich nicht gut gehe. Deren Zahl werde sich ganz sicher noch erhöhen. Auf diese zunehmende Heterogenität müsse die Tarifpolitik langfristige Antworten geben. „Hier brauchen wir dauerhafte Instrumente, die automatisch greifen“, betonte er. Eine Zuspitzung der politischen und wirtschaftlichen Lage im Herbst sei nicht auszuschließen. Metallarbeitgeber und IG Metall müssten sich umso mehr bewusst sein, dass der Umgang miteinander in der Tarifrunde auch stilbildend für die gesellschaftspolitische Debatte im Land sein könne. „Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden“, sagte Kirchhoff.

Zum Auftakt der Tarifverhandlungen in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie (M+E) haben die Arbeitgeber eindringlich vor überzogenen Erwartungen und einem überhöhten Tarifabschluss gewarnt. „Nach wie vor sind die Lieferketten in unserer Industrie noch immer nicht wieder intakt, Materialien und Vorprodukte sind knapp und teuer. Vor allem aber wird die Entwicklung der Energiepreise für viele Betriebe immer dramatischer. Das geht bis hin zur Existenzbedrohung“, sagte Dick, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Südwestmetall, am Mittwoch im Anschluss an die erste Verhandlungsrunde in Kornwestheim: „Immer mehr Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir brauchen daher keinen teuren Abschluss, sondern ein differenziertes Tarifangebot, das der jeweiligen Situation unserer Unternehmen gerecht wird.“
Zuvor hatte die IG Metall in der eineinhalbstündigen Verhandlung nochmals ihre Acht-Prozent-Forderung mit Argumenten begründet, die von der Arbeitgeberseite durchgängig als „nicht überzeugend und realitätsfern“ zurückgewiesen wurden. Die Tarifvertragsparteien müssten alles daransetzen, den Unternehmen einen Werkzeugkasten nicht nur finanzieller Art zur Verfügung zu stellen, der den Betrieben schnelle und passgenaue Reaktionen auf unterschiedliche Entwicklungen ermögliche. „Eine „one-size-fits-all“-Lösung, wie sie die IG Metall fordert, verbietet sich in der aktuellen Situation, da sie die Krise noch weiter verschärfen würde“, so Dick. Zwar sei nachvollziehbar, dass die Beschäftigten die aktuell hohe Inflation im eigenen Geldbeutel spürten, sagte Dick: „Aber die Tarifpolitik wäre damit überfordert, dies auszugleichen – zumal die Tarifsteigerungen in unserer Industrie über lange Jahre hinweg weit über der Inflation lagen.
Die Kaufkraft der M+E-Beschäftigten ist daher mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von gut 66.000 Euro in Baden-Württemberg immer noch sehr, sehr hoch.“ Statt zusätzlicher Kostenbelastungen müsse den Unternehmen nun durch maximale Flexibilität in den Tarifverträgen geholfen werden: „Auch die Modernisierung der Tarifverträge und das Ziel, deren Komplexität zu verringern, bleiben auf unserer Agenda.“ Die hohen Auftragsbestände seien derzeit kein Beleg dafür, dass es den Unternehmen in der Branche gut gehe, so der Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer: „So lange die Aufträge wegen Lieferengpässen nicht abgearbeitet werden können, entstehen daraus auch keine Erträge, aus denen man Entgelte oder Tariferhöhungen bezahlen könnte.“
Fakt sei, dass die M+E-Produktion im Land noch weit unter den Höchstständen vor Rezession, Corona-Krise und Ukraine-Krieg liege und auch immer deutlicher der globalen Produktionsentwicklung hinterherhinke. Zudem mache den Firmen neben Lieferengpässen und hohen Preisen auch ein sich verschärfender Arbeitskräftemangel immer mehr zu schaffen, sagte Dick: „Auch dafür wollen wir gemeinsam mit der IG Metall nach tariflichen Lösungen suchen.“

Der erste Verhandlungstag in Tarifverhandlungen folgt einer eher traditionellen Dramaturgie: die Volkswirte der Arbeitgeber und Gewerkschaften tauschen ihre unterschiedlichen Perspektiven zur wirtschaftlichen Lage aus. Vor dem Start der Verhandlungen wurde der Tarifvertrages gekündigt sowie der Forderungskatalog und der geplante Ablauf der Verhandlungen besprochen.

Arbeitgeber und Gewerkschaft setzen sich dann an den Verhandlungstisch und versuchen, sich auf einen neuen Tarifvertrag zu einigen. Normalerweise erstrecken sich die Gespräche über mehrere Verhandlungstermine. Um Druck auf die Arbeitgeber aufzubauen, werden die Verhandlungen durch Aktionen und Warnstreiks nach Ende der Friedenspflicht begleitet. Einigen sich die Tarifvertragsparteien auf ein Ergebnis, sind die Verhandlungen beendet.

(Mit Material von Metall NRW und Südwestmetall)