Viertagewoche: Pilotprojekte – Praxisbeispiele – Fallstricke – Herausforderungen – und aktuelle wissenschaftliche Perspektiven des IW KÖLN und des ifo-Instituts
Die Diskussion um die „Einführung“ einer Viertagewoche in Deutschland reißt nicht ab. Dabei sollte sich eine Debatte insofern erübrigen, als dass die Arbeitszeit eigenverantwortlich und autonom zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verhandelt wird. Arbeitnehmern, die ihre Wochenarbeitszeit auf vier Tage verteilen wollen, stehen kaum gesetzliche Hürden im Weg. Das Arbeitszeitgesetz erlaubt eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden, sofern die werktägliche Arbeitszeit – das inkludiert den Samstag – im Schnitt acht Stunden nicht überschreitet. Eine 40-Stunden-Arbeitswoche mit vier Tagen zu je zehn Stunden wäre realisierbar.
Von Christoph Sochart
Mit 79 Prozent arbeiten die meisten Arbeitnehmer in Deutschland an fünf Tagen in der Woche. Das ergeben Befunde aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) von 2020. Die Viertagewoche ist nur für 7 Prozent der Arbeitnehmer das geltende Arbeitszeitmodell. Die Unternehmensberatung Intraprenör hat kürzlich erste Ergebnisse ihres Pilotprojekts zur Viertagewoche veröffentlicht. Das Projekt, an dem 45 Betriebe teilnahmen, sollte das 100-80-100-Konzept testen: 100 Prozent Leistung, 80 Prozent Arbeitszeit und 100 Prozent Bezahlung. Nun liegen die ersten Resultate vor, die ernüchternd sind.
Umsetzung und Schwierigkeiten
Viele Unternehmen hatten in dem Pilotprojekt Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Viertagewoche und konnten erst später als geplant starten. Zwei Betriebe sprangen komplett ab. Nur 38 Prozent der Betriebe reduzierten ihre Arbeitszeit tatsächlich um 20 Prozent. 48 Prozent verkürzten zwischen zehn und elf Prozent, weitere 15 Prozent zwischen elf und 19 Prozent. Zudem führten knapp 40 Prozent der Firmen die verkürzte Arbeitszeit nur für bestimmte Teams oder Mitarbeitende ein.
„Die Umstellung von Arbeitsweisen und Prozessen wurde oft unterschätzt“, teilte Intraprenör mit. Dies führte zu Verzögerungen und notwendigen Anpassungen während des Projekts. Julia Backmann von der Universität Münster, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, erklärte: „Bei einigen klappt es aber auch noch nicht, die verkürzte Arbeitszeit einzuhalten.“ Dennoch arbeitet in den meisten Unternehmen mindestens die Hälfte der Belegschaft bereits mit der verkürzten Arbeitszeit.
Praxisbeispiele
Es gibt jedoch auch positive Einzel-Beispiele für die Umsetzung der Viertagewoche. Im Gillette-Werk in Berlin, wir trafen Werksleiter Christoph Reif in Düsseldorf, wurde das Modell in der Produktion eingeführt, ermöglicht durch ein neues Schichtsystem. Die Beschäftigten arbeiten in einem Schichtsystem mit einer autonomen Nachtschicht von bislang vier Stunden. Werksleiter Christoph Reif betonte die größere Flexibilität und die positive Resonanz der Belegschaft: „Gerade für einige der jüngeren Mitarbeitenden ist das Modell mit einem zusätzlichen freien Tag pro Woche attraktiv.“ Allerdings muss man einschränkend sagen, dass das Projekt in Berlin erst seit einigen Wochen läuft. „Autonom“ bedeutet: die Maschinen laufen alleine – ohne Menschen.
Auch die 180° Gruppe aus Neuss und Düsseldorf berichtet von Erfolgen. Seit Jahresbeginn arbeiten die über 40 Mitarbeitenden dort an nur vier Tagen pro Woche. Gründer und CEO Malte Tasto sieht in der Viertagewoche einen Beitrag zu höherer Motivation und Produktivität. „Bei gleichem Lohn und mehr Urlaubstagen haben wir das Arbeitspensum leicht reduziert und arbeiten 36 Stunden an vier Tagen“, erklärt Tasto. Die Firma verzeichnet trotz Fachkräftemangels konstantes Wachstum und hat ihre Mitarbeiterzahl verdoppelt.
Wissenschaftliche Perspektive
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) bietet eine andere Perspektive auf die Viertagewoche. In der Debatte wird häufig auf Pilotstudien verwiesen, die den Beweis erbringen sollen, dass ein solcher Ausgleich möglich sei. Ein Experiment in Island, auf das häufig Bezug genommen wird, untersuchte die Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer und die Entwicklung des Outputs der Einrichtungen. Die Produktivität wurde jedoch nicht konsistent gemessen, sondern es wurden diverse Performance-Indikatoren betrachtet.
Lewis et al. (2023) berichten über verschiedene Formen der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich in 61 Betrieben in Großbritannien. Auch hier wurde die Produktivität nicht konsistent erfasst, sondern lediglich der Umsatz abgefragt. Langzeiteffekte wurden nicht betrachtet.
Die vorliegenden Befunde können laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln zeigen, dass die Viertagewoche in manchen Betrieben zumindest in einer kurzen Frist ein funktionierendes Arbeitszeitmodell sein kann. Sie zeigen aber nicht, dass in einer längeren Frist die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe unbeeinträchtigt bleibt. Schon gar nicht wurde der Beweis erbracht, dass die Viertagewoche ein Modell ist, dass in einem gesamtwirtschaftlichen Maßstab funktioniert. Was in einzelwirtschaftlicher Betrachtung gegebenenfalls sinnvoll erscheinen mag – etwa, wenn mit der Viertagewoche knappe Arbeitskräfte von Mitbewerbern abgeworben werden können – löst sich in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung auf: Wenn alle Unternehmen die Arbeitszeit reduzieren, bleibt am Ende ein Arbeitszeitdefizit.
Keine Hinweise auf eine Kompensation
Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass kausal durch die Arbeitszeitverkürzung die Produktivität in einem Maß gesteigert werden könnte, dass sie in der Lage ist, diese zu kompensieren, betont das IW. In einer Zusammenfassung der Studie heisst es: Die Verkürzung der Arbeitswoche von fünf auf vier Tage entspricht einer Reduzierung der Arbeitszeit um 20 Prozent. Um den resultierenden Produktionsrückgang zu kompensieren, müsste die Stundenproduktivität um 25 Prozent gesteigert werden. Dies ist in einem gesamtwirtschaftlichen Maßstab utopisch. Im Durchschnitt nahm die Stundenproduktivität in den letzten 20 Jahren um jährlich 0,8 Prozent zu, wobei der Trend – nicht nur in Deutschland – rückläufig ist. Ein Anstieg um 25 Prozent entspräche dem gesamten Produktivitätszuwachs seit 1998. Es erschient wenig wahrscheinlich, dass in deutschen Betrieben eine Produktivitätsreserve in diesem Ausmaß liegt, die bislang trotz aller Bemühungen um betriebliche Effizienz nicht gehoben werden konnte.
Mehr arbeiten statt weniger?
Letztlich muss die Debatte um die Viertagewoche mit Arbeitszeitverkürzung im Kontext des demografischen Wandels betrachtet werden. Weil geburtenstarke Jahrgänge in den kommenden Jahren das Rentenalter erreichen, wird sich der Arbeitskräftemangel drastisch verschärfen (Schäfer, 2023b). In dieser Situation eine Arbeitszeitverkürzung vorzunehmen, resultiert unweigerlich in einer Schrumpfung der produzierten Menge an Gütern und Dienstleistungen – ob mit oder ohne Lohnausgleich. Der Wohlstandsverlust beträfe nicht nur die Erwerbstätigen selbst, sondern auch die steigende Anzahl der ökonomisch inaktiven Personen. Daher wäre stattdessen in weit stärkerem Maß eine Debatte um längere Wochenarbeitszeiten angezeigt (Hüther et al., 2022).
Ein Drittel der Unternehmen glaubt an keine positiven Effekte durch die 4-Tage-Woche (Ergebnisse einer Umfrage des ifo-Instituts)
11% der Betriebe haben eine 4-Tage-Woche bereits im Einsatz, 47% davon mit einer Stunden-reduktion bei weniger Gehalt. Etwas mehr als ein Drittel der Unternehmen erwartet von einer 4-Tage-Woche keine positiven Effekte, 59% rechnen mit einem höheren Personalaufwand. 61% der befragten Unternehmen fürchten eine Verschärfung des Arbeits- und Fachkräfte-mangels, wenn eine 4-Tage-Woche eingeführt wird. 23% glauben, dass die positiven Aspekte nämlich die Attraktivität für Bewerbende, überwiegen. Hier bitte klicken, um weiterzulesen!
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