„Zoll-Deal“ triff unsere Betriebe hart – Milliardenverluste erwartet

Screenshot: unternehmer nrw
(cs) Ein neuer Handelsvertrag zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union sorgt für Entsetzen bei Wirtschaft und Industrie. Auf nahezu alle Warenimporte aus Europa erhebt die US-Regierung künftig Zölle in Höhe von 15 Prozent – auf Stahlimporte sogar satte 50 Prozent. Für Nordrhein-Westfalen, dessen Exporte in die USA zuletzt bei 15 Milliarden Euro lagen, bedeutet das einen herben Schlag. Experten erwarten milliardenschwere Verluste. Wirtschaftvertreter sprechen offen von einer „katastrophalen Situation“.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zeigte sich am Montag in Berlin besorgt: „Die deutsche Wirtschaft wird erheblichen Schaden nehmen durch diese Zölle“, warnte der Kanzler. Gleichzeitig machte Merz deutlich, dass auch Amerika selbst die Folgen seiner neuen Handelspolitik spüren werde: „Wir werden auch in Amerika die Folgen dieser Handelspolitik sehen.“
Der Unternehmerpräsident Nordrhein-Westfalens, Arndt Kirchhoff, kritisierte das Abkommen als massive Belastung: „Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln.“ Zwar sei ein noch höherer Zollsatz von 25 Prozent oder mehr abgewendet worden, dennoch werde der transatlantische Handel massiv geschädigt. Kirchhoff betonte, dass die wirtschaftlichen Folgen auf beiden Seiten des Atlantiks spürbar sein werden: „Wir dürfen jetzt nicht in eine handelspolitische Resignation verfallen.“ Stattdessen forderte er von der EU eine globale Offensive für offene Märkte und fairen Freihandel. „Europa muss wirtschaftlich stark bleiben und seine Wettbewerbsfähigkeit deutlich stärken“, so Kirchhoff. Gleichzeitig warnte er davor, sich von den USA abzuwenden. Die Vereinigten Staaten seien seit Jahrzehnten ein unverzichtbarer Partner – sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Die neuen Zölle könnten auch für US-Verbraucher teurer werden. „Ein US-Präsident, der seinen Wählern weniger Inflation versprochen hat, könnte schneller an den Verhandlungstisch zurückkehren als gedacht“, prognostizierte Kirchhoff.
Auch der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dr. Dirk Jandura, sprach von einem „schmerzhaften Kompromiss“. Jeder zusätzliche Prozentpunkt bei den Zöllen stelle für viele Händler eine existenzielle Bedrohung dar. Zwar sorge die Einigung für kurzfristige Planungssicherheit, doch langfristig veränderten sich Lieferketten und Preisstrukturen drastisch. „Wir Mittelständler sind resilient, aber das ist ein harter Schlag für den Außenhandel“, so Jandura. Er appellierte an die Politik, die vergangenen Monate als Weckruf zu begreifen: „Europa muss sich strategisch neu aufstellen und neue Handelsabkommen mit den großen Wirtschaftsregionen der Welt abschließen.“ Verzögerungen bei der Ratifizierung bereits verhandelter Abkommen dürften sich Europa nicht mehr leisten. Zudem mahnte er eine faire Unterstützung auch für den nicht-industriellen Mittelstand an: „Wir sind der Außenhandel, wir sind der Motor für den Wohlstand.“
Besonders alarmiert zeigt sich die deutsche Industrie angesichts der Zollpolitik der USA. Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, zusätzlich Zölle von 30 Prozent auf Importe aus der EU zu erheben, sei ein „Alarmsignal“, erklärte Wolfgang Niedermark vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er forderte dringend Verhandlungen auf Augenhöhe, um eine Eskalation zu vermeiden. „Ein Handelskonflikt zwischen zwei so eng verflochtenen Wirtschaftsräumen wie der EU und den USA schadet der wirtschaftlichen Erholung, der Innovationskraft und dem Vertrauen in internationale Zusammenarbeit.“ Für die Industrie seien Zölle nicht nur kostspielig, sondern gefährdeten auch Arbeitsplätze und internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Auch die Pharmabranche warnt vor schwerwiegenden Folgen. Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), spricht von einem „folgenreichen Rückschritt für die globale Gesundheitsversorgung“. Der bislang zollfreie Austausch von Medikamenten sei ein Erfolgsmodell gewesen – dieser werde nun abrupt beendet. „Die USA sind unser wichtigster Handelspartner. Dieser Abschluss besiegelt nun Milliardenbelastungen für den Pharmastandort Deutschland“, erklärte Steutel. Die EU müsse nun entschlossen gegensteuern, um die Versorgungssicherheit und den Standort zu schützen. Dass Handelspolitik zum „Spielball strategischer Interessen“ werde, sei ein fatales Signal in Zeiten globaler Gesundheitskrisen.
In der Automobilbranche ist die Reaktion gespalten. Mercedes-Benz, dass in Düsseldorf bekanntlich den Sprinter produziert, begrüßte den im Vergleich zum bisherigen 25-Prozent-Zollsatz reduzierten Aufschlag von 15 Prozent als „wichtige Erleichterung“. Gleichwohl forderte der Konzern weitere Entlastungen und betonte seine fortgesetzten Investitionen in den USA. VDA-Präsidentin Hildegard Müller zeigte sich vorsichtig optimistisch über die Vermeidung einer Eskalation, warnte aber: „Der Zollsatz von 15 Prozent wird die deutsche Automobilindustrie jährlich Milliarden kosten.“ Besonders die Transformation der Branche werde durch zusätzliche Belastungen erschwert. Müller rief die EU dazu auf, die Rahmenbedingungen für Investoren in Europa dringend zu verbessern: „Europa muss wieder relevanter und attraktiver als Investitionsstandort werden.“
Kerstin Münstermann, Redakteurin der Rheinischen Post, bringt es auf den Punkt: „Klar ist: Jedes Prozent Zoll ist ein Prozent zu viel.“ Zwar sei der EU-Kommission ein „Deal“ mit einem unberechenbaren US-Präsidenten gelungen, doch der Preis dafür sei hoch. Die Unsicherheit sei zwar beendet – aber die Kosten für die deutsche Wirtschaft seien enorm.