Im Wandel: Deutschlands Norden und Osten auf dem Vormarsch

In Deutschland tut sich etwas. Laut dem aktuellen Regional-Ranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), „unserem“ Wirtschaftsinstitut in Köln, haben sich die besten Zukunftsperspektiven in Sachen Wohlstand, Lebensqualität und Arbeitsplätze überraschend in den Norden und Osten des Landes verlagert. Während Städte und Kreise in Bayern und Baden-Württemberg weiterhin bei der Leistungsfähigkeit dominieren, verlieren sie in puncto Dynamik an Boden.

Das IW untersucht alle zwei Jahre die 400 Städte und Kreise der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstruktur, des Arbeitsmarktes und der Lebensqualität. Faktoren wie Unternehmensgründungen, der Anteil der Hochqualifizierten, die Erwerbsquote von Frauen, die Ärztedichte und der Anteil von Naturflächen werden dabei berücksichtigt – all das, was eine Region lebenswert macht.

In den Wachstumsraten fällt der Süden zurück. Vor vier Jahren lagen dort noch zwei Drittel der Städte und Kreise über dem Durchschnitt, heute sind es nur noch 40 Prozent. Der Norden und Osten hingegen holen kräftig auf, begünstigt durch neue Großinvestitionen in die Chip- und Batteriefertigung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.

Hanno Kempermann, Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Foto: IW

Und wie schlägt sich Nordrhein-Westfalen (NRW), das bevölkerungsreichste Bundesland? Laut Hanno Kempermann, Geschäftsführer der IW Consult und Mitautor der Studie, steht NRW vor großen Herausforderungen. Nur neun der 53 Kreise und Städte in NRW liegen im Niveau-Ranking über dem Bundesdurchschnitt. Keiner von ihnen schafft es unter die Top Ten. Die besten Platzierungen in NRW erreichen Leverkusen (Platz 19), Düsseldorf (Platz 29) und der Kreis Mettmann (Platz 94). Im Gegensatz dazu sind gleich fünf Städte aus NRW unter den zehn Schlusslichtern zu finden: Hagen (394), Oberhausen (396), Duisburg (398), Gelsenkirchen (399) und Herne (400). Das Schluss-Trio der Untersuchung wird somit von drei Ruhrgebietsstädten gebildet.

Die Problematik des Ruhrgebiets, das immer noch mit den Folgen der Deindustrialisierung kämpft, überrascht nicht. Auffällig ist jedoch, dass einst prosperierende Regionen wie Ostwestfalen und das Sieger- und Sauerland ebenfalls zurückfallen. Hier sind es oft mittelständische Unternehmen, die weltweit erfolgreich agieren. Kempermann nennt die Gründe: „Westfalen leidet stärker unter den steigenden Energiepreisen und ist stärker auf traditionelle Industriezweige wie die Autozulieferung für Verbrennungsmotoren angewiesen, was jetzt zum Nachteil wird.“

Auch attraktive Städte wie Köln (Platz 214), Bonn (111) und Aachen (335) haben im Niveau verloren. Trotz einer aktiven Gründerszene und gut ausgebildeter Arbeitskräfte schneiden sie bei Kriminalität, Frauenerwerbsquote und Familienfreundlichkeit schlecht ab. Städte wie Mönchengladbach und Münster haben sich zwar verbessert, kämpfen aber mit einer schwachen Wirtschaftsstruktur bzw. einem Mangel an Wohnraum für Familien.

NRW insgesamt hat Schwierigkeiten, mit den Herausforderungen der Digitalisierung und dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft mitzuhalten. Während flexible Mittelständler im Süden und Norden besser auf das neue Umfeld reagieren, fehlt es in NRW an Platz für Neuansiedlungen. Großkonzerne wie Northvolt, Intel und TSMC haben sich deshalb für Standorte in Schleswig-Holstein, Sachsen und Sachsen-Anhalt entschieden. Selbst der Autozulieferer Kirchhoff fand kein Grundstück in NRW und zog nach Sachsen um.

Obwohl NRW über exzellente Universitäten verfügt, bleiben viele Absolventen nicht in der Region. „Es gibt zu wenige attraktive Arbeitgeber in NRW. Absolventen von Exzellenzuniversitäten gehen lieber in den Süden zu BMW, Mercedes, Google oder Microsoft,“ erklärt Kempermann. Es fehlt an einem umfassenden Konzept, um ein attraktives Umfeld für neue Ansiedlungen zu schaffen – von Fachkräften über Flächen bis hin zu grünem Strom.

Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen. Im Dynamik-Ranking der Studie liegen 29 Städte und Kreise in NRW über dem Bundesdurchschnitt. Leverkusen, dessen größter Konzern Bayer derzeit Schwierigkeiten hat, belegt Platz fünf der dynamischsten Städte Deutschlands. Dies liegt unter anderem an drastischen Gewerbesteuersenkungen, die Unternehmen aus dem In- und Ausland angelockt haben, sowie einem hohen Qualifikationsniveau und einem Zuwachs an wissensintensiven Dienstleistungen.

Das Ruhrgebiet zeigt ebenfalls erste Erholungstendenzen. In Bochum entsteht ein Zentrum für Cyber-Sicherheit, Dortmund punktet mit Mikroelektronik und Logistik, und Essen beherbergt viele Konzernzentralen. Selbst Duisburg, das Schlusslicht, erlebt einen Dynamikschub.

Die nordrhein-westfälische Wirtschaft hat also noch erhebliches Potenzial. Besonders die Wissenschafts- und Wirtschaftscluster rund um Wasserstoff, Biotechnologie und Quantencomputing könnten maßgeblich zur zukünftigen Dynamik beitragen.

Es bleibt spannend, wie sich die Regionen weiterentwickeln und ob NRW seine Herausforderungen erfolgreich meistern kann.